Liebe Synodale, liebe Schwestern und Brüder,

ich freue ich sehr an diesem Tag an ihrer Kreissynode teilnehmen zu können. Der 9. November 1989 ist ein besonders Datum unter den vielen im Herbst 1989, an die in diesem Jahr erinnert wird. Die Grenzöffnung am Abend des 9.Novembers 1989, der „Fall der Mauer“, hat das Leben unzähliger Menschen in beiden Teilen des damals geteilten Deutschlands nachhaltig verändert. Am Ende stand am 3. Oktober 1990 die deutsche Einheit verbunden mit der Hoffnung auf ein ebenso zusammenwachsendes einiges Europa. Viele erzählen in diesen Tag von ihren Erinnerungen an den 9. November 1989 und wir begreifen, wie wichtig die Erzählungen, die Erinnerungen sind, weil für alle Nachgeborenen, für eine ganze Generation diese Erinnerung Geschichte, für viele von uns aber lebendige Erfahrung ist.

Selbst wenn ich mich nicht mehr genau erinnern kann, was mich am 9. November 1989 alles beschäftigt hat – der Kalender des jungen Westberliner Vikars ist da nicht sehr hilfreich – so weiß ich doch, dass dieses Datum entscheidenden Einfluss auf meinen weiteren Lebensweg hatte und ich heute nicht hier stehen würde.

Noch in meinem Hilfsdienst 1993 – die Landeskirche war noch dabei zusammenzuwachsen – wechselte ich in die sogenannte Ostregion der Berlin-brandenburgische Kirche. Die erste Zeit war geprägt davon, unzählige Lebensgeschichte zu hören und zu verstehen, das Leben, die Umstände und die Herausforderungen in den Umbrüchen zu begreifen, ehe ich sie deuten konnte. Eines habe ich schnell begriffen: die Partnerschaften zwischen Landeskirchen, Kirchenkreisen und Kirchengemeinden und die damit verbundenen Kontakte, Begegnungen und Freundschaften waren enorm wichtig, überlebensnotwendig. Für viele in Ost und West waren dies die einzigen Berührungspunkte jenseits der familiären Verbindungen und ich bin überzeugt, dass der Wert dieser Kontakte auch für den Prozess der deutschen Einheit nicht hoch genug geschätzt werden kann. Die kirchlichen Partnerschaften boten Freiräume und Möglichkeiten Lebensgeschichten und Lebenserfahrungen jenseits reglementierter Begegnungen unmittelbar zu teilen. Das war Anschauung aus erster Hand, was es hieß in dem einen oder anderen Teil Deutschlands als Christ mit den unterschiedlichen Rollen, die die Kirchen innehatten, zu leben. Es war für Menschen in Ost und West nach der friedlichen Revolution noch schwierig genug, einander zu verstehen. Ich fand mich dabei schnell in der Rolle, gegenseitig Lebenswirklichkeiten erklären zu müsse. Ohne die kirchlichen Partnerschaften wäre das Zusammenwachsens noch schwerer gefallen. Und damit habe ich noch nichts über die Bedeutung der materiellen Unterstützung für die normale kirchliche Arbeit und den Erhalt der Kirchen in der DDR gesagt.

Viele erlebten bei den Begegnungen in Ost-Berlin, welche Bedeutung es hatte, biblische Botschaft, Lied und Gebet immer in den Mittelpunkt aller Veranstaltungen zu stellen, um als Kirche überhaupt öffentlich einladen zu dürfen. Um diese Klarheit und diese Erkennbarkeit wurden unsere Gemeinden oft beneidet. Es war also schon damals ein gegenseitiger Lernprozess, der aus Patenschaften mit der Zeit Partnerschaften werden ließ. Und partnerschaftlich lernen wir immer noch voneinander in den unterschiedlichen Kontexten eines vereinigten Deutschlands.

Auch die gesellschaftliche Rolle einer eher an den Rand gedrängten Kirche, die wenn schon nicht mehr Volkskirche, so doch Kirche für das ganze Volk auch unter den Bedingungen des (real existierenden) Sozialismus sein wollte (das meinte die Rede von der Kirche im Sozialismus), muss in diesen Tagen erinnert werden. Die Kirche bot mit ihren Räumen bei den Friedensgebeten ein offenen Denk- und Diskussionsraum, der von vielen unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zur Kirche genutzt wurde. In dieser Offenheit lud die Evangelische Kirche, oft genug auch unter ängstlichem Misstrauen der Kirchenleitungen wegen der mühsam bewahrten Freiräume, Menschen zur Beteiligung ein. Heute diskutieren wir abgestufte Formen von Mitgliedschaft und Beteiligung.  Die Friedensgebete waren Gottesdienste und Demonstrationen, sie waren innerlich, fromm und politisch. Sie haben Menschen verändert und Gesellschaft. Es würde sich lohnen, eine Theologie des Gebetes auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen zu entwickeln.

Bonhoeffer konnte das Gebet und das Tun des Gerechten nicht voneinander trennen. In der alten Bundesrepublik luden Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky mit Mitstreitern zu den politischen Nachtgebeten ein und in der ehemaligen DDR bereiteten die Friedensgebete die Montagsdemonstrationen und die friedliche Revolution vor.

Wenn ich heute hier an ihrer Synode teilnehme, dann möchte ich damit meinen Dank für die geschwisterliche Verbundenheit über all die Jahrzehnte der Teilung und der Zeit danach zum Ausdruck bringen. Wir sind beschenkt.

Und aus der dankbaren Erinnerung wünsche ich mir dann ein gemeinsames entschlossenes Eintreten für die damals erlebte und erstrittene Offenheit des Denkens und Lebens, ich wünsche mir die Hoffnung und die Freude, die Menschen damals bewegt hat, um sie denen entgegenzusetzen, die heute mit den Ängsten der Menschen spielen, Freiheit und Freiräume aufs Spiel setzen, die Unteilbarkeit der Menschenwürde missachten, Grenzen und Mauern in den Herzen und in Europa wieder errichten wollen. Ihnen können wir unsere Hoffnung auf geschwisterliche Gemeinschaft und die Wirklichkeit verändernde Kraft informierten Diskutierens und Betens in einer freiheitlichen Gesellschaft entgegensetzen. Die Kraft des Glaubens, gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern, der Auftrag den Gott Jesu Christi dieser Welt zu versprechen und diese Welt Gott aufs Herz zu legen, der Schatz des Evangeliums sind unverzichtbar und ein Schatz! Unser gemeinsamer Weg als Partner, als Geschwister und als Freunde ist noch lange nicht zu Ende.

So grüße ich herzlich im Namen unsere Kreissynode im Kirchenkreis Oberes Havelland, des Kreiskirchenrates und unserer Gemeinde; sage Dank für alle Partnerschaft und wünsche an diesem Tag der Synode Gottes Segen bei allen Beratungen und Entscheidungen.