Archiv für die Kategorie ‘Behindertenarbeit/Inklusion’

Wenn der Topf den Deckel sucht…

„Wenn der Topf seinen Deckel sucht“ kann das auch mal anstrengend sein. Vor allem, wenn man sich dran macht – gegen manche ‚Blockade in den Köpfen‘ – eigentlich Selbstverständliches umzusetzen: Allen Menschen die Möglichkeit zu geben, durch ehrenamtliche Arbeit aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Hier engagiert sich die inklusive Freiwilligenagentur in Altenkirchen. Zu einem Fachtag, bei dem sich knapp 100 Menschen in der „Glockenspitze“ in Altenkirchen trafen, wurde deutlich, wie aus einer Idee Praxis wurde und wo es noch „klemmt“.

Master-Kurs-Studierende des Fachbereichs „Soziale Arbeit“ der Universität Siegen forschten und untersuchten im Rahmen ihres Forschungspraxisseminars die „Chancen und Herausforderungen von Inklusion im Ehrenamt“ und stellten in Altenkirchen im direkten Gespräch mit den Betroffenen und den Praktikern ihre Ergebnisse vor.
In acht wechselnden Gesprächsrunden mit den vielen Ehrenamtlichen, Menschen mit Beeinträchtigungen und Engagierten aus der Behindertenhilfe (u.a. brachten sich auch Menschen aus Netphen und Lüdenscheid ein), ging es dabei u.a. um Motivation im Ehrenamt, Netzwerkarbeit, aber auch konkret um mögliche Einsatzorte in Altenheimen, Feuerwehren und Wohlfahrtsverbänden. So haben die Studierenden u.a. erforscht, dass die Feuerwehren viele positive Signale an alle Menschen aussenden, die sich einbringen wollen. Hier soll – so Fazit des Austauschs – der Vor-Ort-Kontakt intensiviert und ausgebaut werden.

Fachtag inklusives Ehrenamt

Die Ehrenamtsagentur in Altenkirchen (rechts Koordinatorin Silke Seyler vom Diakonischen Werk im Kirchenkreis) wird in ihrem Bemühen, Menschen mit Beeinträchtigungen Chancen im ehrenamtlichen Engagement zu eröffnen, von der Universität in Siegen wissenschaftlich begleitet. Prof. Dr. Albrecht Rohrmann (links) und Miriam Düber stellten bei einem Fachtag in Altenkirchen ihre Forschungsergebnisse vor. 20 Studierende der Universität kamen ebenfalls zum Fachtag und diskutierten mit den Beteiligten und Praktikern vor Ort. Fotos: Petra Stroh

 

 

 

 

 

 

 

Saalblick FAchtag Inklusives EhrenamtRege Diskussionen gab es an acht Tischen. Hier kamen die Studierenden, ehrenamtlich Engagierte und Aktive der Behindertenhilfe zusammen.

 

Aus einer Idee wurde erfolgreiche Praxis

Silke Seyler vom Diakonischen Werk im Evangelischen Kirchenkreis Altenkirchen, schilderte den Werdegang der heimischen Freiwilligenagentur – ein auf drei Jahre angelegtes Projekt. Es gab zunächst nur die Idee, Menschen mit Behinderung eine Betätigung im Ehrenamt zu ermöglichen. Maßgeblich wurde sie mit- und weiterentwickelt vom ehemaligen Diakonie-Leiter Timo Schneider, der zum Fachtag auch eigens aus Kirchheimbolanden noch einmal in seine frühere Wirkungsstätte nach Altenkirchen gekommen war. Klar wurde im Entstehungsprozess schnell, dass man die „engen Mauern“ des Mehrgenerationenhauses überwinden und „in die Breite“ gehen wollte.
Viele Fragen stellte man sich zu Projektbeginn – intern, aber auch an die Menschen, die vor Ort ehrenamtliches Mitwirken suchten und anboten. Da kamen die Vereine und Institutionen vor Ort ins Spiel: „Wo werden Freiwillige gebraucht? Welche Aufgaben warten? Was kann man für ein gelingendes Miteinander tun?
2016 startete das Projekt bei der Diakonie in Altenkirchen, das mit Mitteln der „Aktion Mensch“ angestoßen wurde und von der Heidehof-Stiftung gefördert wird.

Zwei Jahren Praxiserfahrung, so Koordinatorin Silke Seyler, brachten viele neue Erkenntnisse, jede Menge Erfahrungen, aber auch neue Ideen.
30 konkrete Anfragen und 22 Erstgespräche laufen aktuell, damit „der Topf einen Deckel“ findet. Entstanden ist zwischenzeitlich unter anderem eine „mobile Einsatzgruppe“, die ihre Fähigkeiten vor Ort einbringt, wie beim Kreisheimattag, bei Gemeindefesten, aber auch bei den zahlreichen Aktivitäten im Mehrgenerationenhaus.
„Viele Gespräche und Austausch gehören zum Konzept“, schildert Seyler. Schließlich seien gegenseitiges Kennenlernen und der Abbau von Vorurteilen wichtig. Auch gemeinsame Freizeitaktivitäten, Workshops und Kinoabende werden geboten, „ebenso Kurse – Fit fürs Ehrenamt – und Besuche, die Kontakte etwa in die Vereinswelt knüpfen.

„Alles muss in der Mitte der Gesellschaft geschehen“

Prof. Dr. Albrecht Rohrmann und Miriam Düber von der Uni Siegen, die die „Chancen und Herausforderungen von Inklusion im Ehrenamt“ in den Blick genommen hatten, appellierten das Engagement behinderter Menschen im Ehrenamt nicht als „Spezialgebiet“ zu behandeln. „Alles muss in der Mitte der Gesellschaft geschehen“.

Prof.Albrecht Rohrmann

Prof. Dr. Albrecht Rohrmann stellte Forschungsergebnisse vor

 

„Vielfach wird gar nicht wahrgenommen, dass sich beeinträchtigte Menschen ehrenamtlich in der Gesellschaft engagieren wollen. Sie gelten oft nur als diejenigen, die ehrenamtliche Hilfe erhalten, aber nicht anbieten!“ Prof. Rohrbach stimmt es zuversichtlich, dass sich immerhin fast die Hälfte der Bevölkerung ehrenamtlich in den ganz unterschiedlichen Bereichen engagieren. „Doch nicht alle bekommen die Chance sich einzubringen. Sein Appell: noch stärker darauf achten, dass es ein gemeinsames Miteinander gibt!
Miriam Düber sieht im Austausch mit den Einrichtungen der Behindertenhilfe sowohl Licht wie Schatten. Oft sei der Dialog hilfreich. „Die Inklusion ist aber kein Spezialauftrag nur für solche Einrichtungen. Hier ist die Gesamtgesellschaft gefragt. Behinderte brauchen Ermutigung ohne Bevormundung!“

„Bitte wiederholen!“ – Dokumentation folgt

Vor allem der rege Austausch in den Gesprächsrunden beim Fachtag kam bei allen Teilnehmenden gut an “Das muss unbedingt wiederholt werden“, war unisono Fazit: „Wir wollen uns gemeinsam weiterhin stark machen für die Barrierefreiheit. Barrierefreiheit praktisch und in den Köpfen!“
Praktisch zeitnah umgesetzt werden soll dies, so Koordinatorin Silke Seyler, durch gemeinsame Arbeit, u.a. beim Ehrenamtstag in Flammersfeld am 12. August, aber auch durch stärkere Kontakte in weiteren Ehrenamtsfeldern, etwa mit den Feuerwehren.
Die Forschungsergebnisse der Universität Siegen und die Anregungen aus dem Altenkirchener Fachtag werden nun in einer Dokumentation zusammengetragen. Sie können in einigen Wochen bei der Freiwilligenagentur in Altenkirchen abgefragt oder auf der Homepage der Diakonie im Evangelischen Kirchenkreis Altenkirchen nachgelesen werden. PES.

Fachtag Inklusion mit „Experten in eigener Sache“

„Behindert ist man nicht, behindert wird man!“ Wie behindert ist dann die Inklusion und wo wird sie behindert? Gemeinsam mit Betroffenen, Multiplikatoren und Fachleuten suchte ein Veranstaltungsteam (bestehend aus dem Schulreferat der Evangelischen Kirchenkreise Altenkirchen und Wied, der Evangelischen Landjugendakademie, dem Beauftragten für die Inklusion im Kirchenkreis Altenkirchen, dem HIBA e.V in Wissen, der Verein für Behindertenarbeit in Hachenburg und „Der Paritätische Rheinland-Pfalz/Saar“) nach Antworten.

Wichtig war allen Beteiligten, dass auch und eben diejenigen, um die es geht, die Menschen mit Behinderungen, dabei selbst zu Wort kommen und über ihren konkreten Alltag. Grundidee des Bildungstages, der ganz gezielt ein breites Feld aller aktiven Kräfte und Beteiligten in Sachen Inklusion zusammen- und ins Gespräch miteinander brachte: Kommunalpolitiker, Schulleitungen von Schwerpunkt- und Förderschulen, Mitarbeiter in den Verwaltungen, Dienste, die Schulbegleiter stellen oder Hilfen im Übergang von der Schule in den Beruf anbieten, Mitarbeiter in Wohneinrichtungen und anderen stationären und teilstationären Einrichtungen, Schulsozialarbeiter und Schulpfarrer.

 

Veranstaltungsteam

Gemeinsam veranstalteten und leiteten sie den Fachtag in Altenkirchen: (v.l.): Schulreferent Martin Autschbach (Kirchenkreis), Moderator Rainer Schmidt, Christof Weller(HIBA), Anke Kreutz (LJA), Winfried Weber (Verein für Behindertenarbeit Hachenburg) und Matthias Rösch (Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen. Alle Fotos: Petra Stroh

100 Menschen diskutierten mit

Rund 100 Menschen aus der Region trafen dann auch bei dem „bunten Fachtag“ mit Impulsen, Fachvortrag, praktischem Austausch und viel Lachen in der Altenkirchener Landjugendakademie zusammen. Sie zeigten Mängel auf und bauten Kommunikationsbrücken.

Dass es auf dem Weg der Umsetzung der Inklusion stockt – er war engagiert von vielen Akteuren seit 2011 (Einführung der UN-Konvention) beschritten worden – konnten diejenigen am besten darlegen, die es tagtäglich berührt. Ob Kindergarten, Schule, Beruf, Freizeit, im Wohnbereich oder in Sachen Mobilität.

Rainer Schmidt: „Arm ab, aber nicht arm dran“, Theologe, Comedian und ehemaliger Spitzensportler, kennt aus seinem eigenen Erfahrungsbereich nur zu gut die „Stolpersteine“, die Menschen mit Beeinträchtigungen in den Weg gelegt werden. Nicht nur abgesperrte Toilettentüren, die mangels Fingerfertigkeiten einfach nicht zu öffnen sind, zwingen ihn zu zeitraubenden „Umwegen“. Aber oft – so wurde es in seiner kenntnisreichen, aber herrlich launigen und humorvollen Moderation des Fachtages ziemlich deutlich – seien die Hindernisse in den Köpfen das Haupthindernis auf dem Weg in eine gelingende Inklusion. Starre Regelungen in verschiedensten Lebensbereichen blockierten gute Umsetzungswege. Für Abhilfe brauche es einen extrem langen Atem. Energie, die Menschen, die ohnehin mehr Kraft in den Alltag investieren müssten, oftmals nicht überhätten. Ganz praktische Erfahrungen über Hemmnisse in der Region schilderten Betroffene. Manchmal stoppt nur ein defekter Aufzug die Mobilität, dann wieder ist es ein „Zuständigkeitswirrwarr“, der Berufswünsche platzen lässt. Eine Gruppe der „Lebenshilfe“ aus Steckenstein gab dem Plenum eindrucksvolle Einblicke in ihren „behinderten Alltag“.

„Gesamtgesellschaftliche Diskussion führen“

„Details werden besprochen, aber es fehlt immer noch an einer gesamt-gesellschaftlichen Diskussion“ Michael Hamm, Landesgeschäftsführer des „Paritätischen“ mahnte zum Umdenken und zum Mehreinsatz an Ressourcen (Zeit, Geld und Engagement), damit Inklusion gelingen kann. Er versteht sich ebenso als „Lobbyist“ für die Belange beeinträchtigter Menschen wie Matthias Rösch, Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen. Rösch „unsere Welt ist Barriere-gefüllt“ freute sich, dass mit dem Fachtag in Altenkirchen die Inklusion kritisch begleitet werde, aber auch aufgezeigt werde, wo es Hilfe und Unterstützung gibt. Rösch, der sich nach der Mittagspause auf den Weg nach Mainz machen musste um sich dort zum Bundesteilhabegesetz einzubringen, konnte dazu aus dem Altenkirchener Plenum gleich allerhand Bedenkenswertes mitnehmen.

Der zweite stellvertretende Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises, Pfarrer Thomas Rössler-Schaake (Flammersfeld) machte in seinem Grußwort, deutlich, dass er „gelebte Inklusion“, aus seiner Kirchengemeinde kennt, aber auch um die manchmal selbstgebauten Hemmnisse weiß, etwa wenn es um „leichte Sprache“ und gelingende Kommunikation geht.

„Alternative Wohnformen fehlen“

Hier sah sich auch Prof. Dr. päd. Erik Weber von der Ev. Hochschule in Darmstadt, als Impulsgeber bei seinem Fachvortrag „Behinderte Inklusion“ herausgefordert. Seine Rede gab es deshalb auch zum Mitlesen in „leichter Sprache“. So wurden deren Kernaussagen, etwa, dass es in Zeiten von wirtschaftlichen Krisen immer lauter werdende Kritik „Für Behinderte wird zu viel Aufwand betrieben“ gibt. „Das Unbehagen in der deutschen Gesellschaft gegen Vielfalt wächst“, belegte der Wissenschaftler anhand von Umfrageergebnissen und zitierte aus einem Ausschuss, der den nationalen Bericht zur UN-Behindertenkonvention auswerte: „Wir sind besorgt, dass es in Deutschland einen hohen Grad der Institutionalisierung und einen Mangel an alternativen Wohnformen für behinderte Menschen gibt!“

„Wir werden dringend aufgefordert mehr Engagement und Geld einzusetzen“, stellte Weber klar und forderte alle gesellschaftlichen Gruppen auf die Bemühungen der Behinderten-Organisationen tatkräftig zu unterstützen. „Diese fühlen sich etwa in Fragen der Stadtplanung oft ziemlich alleingelassen!“

„Wir brauchen ein Inklusives-Gemeinwesen und ein Inklusives-Hilfesystem“, appellierte Weber.

Direktkontakt an sieben Stationen

An sieben Stationen – Themen dabei: Öffentlicher Personenverkehr, Gestaltung von Eingliederungshilfen, zur Angebotspalette von ambulanten Hilfsdiensten, selbstbestimmtes Wohnen, heimische Schul- und Kindertagesstätten, der Übergangssituation von Schule zu Beruf aber auch zur selbstbestimmten Freizeitgestaltung – boten die heimischen Akteure (darunter verschiedene Dienststellen der Kreisverwaltung, Bürgermeister Fred Jüngerich für die kommunalen KITA, Hilfsdienste, Diakonie und Caritas) – vielfältige Austauschrunden an. „So wurden Gesprächsbrücken für beeinträchtigte Menschen, aber auch untereinander gebaut“, freute sich Anke Kreutz, Direktorin der gastgebenden Landjugendakademie.

Inklusionsbeirat auf Kreisebene?

„In den Köpfen der Menschen, die nicht betroffen und für die Belange beeinträchtigter Menschen engagiert sind, muss noch viel passieren“, war ein Fazit der Plenumsrunde. Dort keimte auch die Idee eines „trägerübergreifenden Inklusionsbeirates“ auf Kreisebene, auf, der u.a. von den beiden „Mehrgenerationenhäusern“ als „Austauschort mit Impulsen Betroffener“ unterstützt werden könnte. Auch die Idee eines „kreisweiten Pools für Sozialassistenten“ wurde aufgeworfen.

Hans-Joachim Schwan, Leiter der Sozialabteilung des Kreises und engagiert beim Fachtag im Einsatz, unterstrich die Bemühungen und die Bereitschaft um mehr Vernetzung und Miteinander, die dringend geboten seien. Kritisch merkte er allerdings an, dass man vor Gründung eines Inklusionsbeirates oder der Aufstellung eines regionalen Teilhabe-Plans sehr genau hinschauen müsste, was dies bringe. „Es dient keinem, wenn die Kreis-Ebene gar nicht entscheidungsberechtigt ist. „Es wäre für alle Akteure nur frustrierend!“

Eine Dokumentation des Fachtages wird von der Landjugendakademie und dem Veranstalter-Team zusammengestellt, gebündelte Kommunikationsstränge sollen ausgebaut werden. Und man will sich gemeinsam weiter bewegen um der Inklusion „ihre Behinderungen zu nehmen“ – so das Fazit des Fachtages, der dank Rainer Schmidts rheinisch-fröhlicher Moderation nicht nur viele Impulse setzte, sondern auch deutlich machte, dass es Behinderten und vermeintlich Nicht-Behinderten gut tat miteinander und auch übereinander zu lachen. PES

 

Matthias Rösch

Prof. Erik Weber

Moderator Rainer Schmidt

Volles Haus beim Fachtag in Altenkirchen. Mit dabei auch: Doris Krapp, Vorsitzende des synodalen Fachausschusses für die Arbeit mit Behinderten und ihre Familien und Michael Hamm, Landesgeschäftsführer des Paritätischen in RLP/Saarland.

 

 

Die „Fachleute in eigener Sache“ interviewte Rainer Schmidt. Menschen mit verschiedensten Behinderungen erzählten aus ihrem Lebensalltag und vor allem auch davon, was oder wer sie behindert.

An der „Station Freizeit“ wurde sich ausgetauscht. Nicht immer passen Angebot und Nachfrage beieinander und bei so mancher Freizeitaktivität scheitert es auch an der Möglichkeit diese zu erreichen.

Die „Station Verkehr“ machte auf ein großflächiges Angebot an öffentlichem Verkehr aufmerksam. Doch nicht alle Orten sind immer zu passenden Zeiten erreichbar.