Kanzelrede: Jüngerich mahnt zu Besinnung und Verantwortung
„Ob wohl heute bußfertige Menschen zur Wied oder Nister kämen, so wie damals die Menschen zu Johannes dem Täufer an den Jordan?“ Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld, Fred Jüngerich, äußerte da so seine Zweifel. Trotz seiner aktuell gerade sehr zeitaufwändigen Aufgaben in politischen Ämtern nahm sich der Verwaltungsfachmann Zeit und hatte sich für einen besonderen Advents-Gottesdienst der Evangelischen Kirchengemeinde Birnbach im Weyerbuscher Gemeindezentrum intensiv auf seine Kanzelrede vorbereitet.
Die Fragen Jüngerichs zu „Schuld und Sühne“ und seine kritischen Anmerkungen – etwa zu Auswüchsen im Sportbereich „Da sind im Fanbereich manchmal Rachegedanken beherrschender als die Freude am Wettkampf…“ – korrespondierten dabei zu den liturgischen Texten von Prädikant Frank Schumann, der den Gottesdienst leitete.
Was bedeutet Schuld heute? Fred Jüngerich verwies auf den (veränderten) Umgang mit Trauer, Leid, Zerstörung im Heute und brachte dazu Erinnerungen der Menschen aus der Nachkriegszeit, aber auch Erfahrungen von persönlich prägenden Momenten in den Jahren des „kalten Krieges“ ein.
„Habgier, Profit- und Rachsucht und religiöser Fanatismus herrschten in biblischen Zeiten genau wie im Jetzt.“ Auch drückten Despoten und Autokraten der Welt noch immer ihre unbarmherzigen Stempel auf. Neu sei hingegen, so der Bürgermeister, dass nun eigentlich jede und jeder daran beteiligt sei, die Welt ökologisch zu zerstören.
„Ist es richtig zu glauben, dass wir weiterhin mit begrenzten Ressourcen unbegrenzten Gewinn einfahren können?“, fragte er offensiv.
„Persönlich zerstöre ich ja nicht die Welt, also bin ich frei von aller Schuld!“, zitierte Jüngerich die von vielen gerne gewählten Abwehrmechanismen, wenn es darum gehe, Verantwortung zu übernehmen für so manches, was in der Politik und in der Welt falsch laufe. Gerade auch im selbstverantworteten ökologischen Handeln.
„Vielleicht fühlt man sich wirklich als einzelner ‚machtlos‘, aber gerade hier in unserem Raiffeisenland wissen wir – und praktizieren es auch: gemeinsam schaffen wir mehr!“
Jüngerich machte Mut: „Als Teil dieser Gemeinschaft kann jede und jeder Einzelne viel tun. Sich einsetzen in Politik und bei ökologischem Handeln! Mit dazu beitragen, dass der Klimawandel verlangsamt wird, aber auch sich für Demokratie und friedliches Miteinander engagieren.“ So könne etwa die Abkehr von zunehmender Flächenversiegelung dem ländlichen Raum nur guttun.
Auch wenn jemand erstaunt sei, dass eine so ungewöhnliche Äußerung von einem dem Gemeinwohl verpflichteten Bürgermeister komme, stehe er, Fred Jüngerich, dennoch dazu: „Wir als Verantwortliche sind da gefordert! Ob in der ‘großen Politik‘ oder im kommunalen Handeln: da dürfen wir schon mal den Gang an den Jordan antreten!“
Vielleicht, so die Hoffnung des Bürgermeisters, biete die Adventszeit allen die Chance auf Ruhe und Besinnung, zur inneren Einkehr und der Bereitschaft, sich der eigenen Schuld zu stellen.
Prädikant Frank Schumann ergänzte diese Worte und mahnte, dass die Adventszeit mit ihrem Warten auf Gottes Erscheinen auch immer wieder deutlich mache, „dass wir Gott so dringend brauchen. Er unterstützt und trägt uns bei all unseren menschlichen Unzulänglichkeiten!“
Schumann dankte im Namen der Kirchengemeinde dem Bürgermeister für seine bereichernde Kanzelrede, die die drängenden „Fragen der Welt“ aus Sicht eines politisch verantwortlich Handelnden mit den christlichen Ansätzen und Ansprüchen verknüpft habe und ganz viel Nachdenkenswertes für den Gang „vom Jordan nach Bethlehem“ geschenkt hätte. „Gerne wiederkommen!“, lud er den Bürgermeister ein.
Beim anschließenden Kirchen-Café gab es gute Gelegenheit für den direkten Austausch zwischen den Gottesdienstbesuchern und ihrem Gast. Dank für seine Kanzelrede durfte er sich dabei vielstimmig abholen.
Text: Petra Stroh