Seligmann

„Ihr seid die Schande unserer Schule“

Ausstellung – Szenen einer Spurensuche von Rosbach bis Stutthof

 

Geschwister Seligmann

 

Plötzlich waren Geschwister Ruth und Artur Seligmann in dem kleinen Ort an der Sieg „die Schande ihrer Schule“. Nur weil sie jüdische Kinder waren. Hätte es Naziterror, Vertreibung und Vernichtung nicht gegeben, würden ihre Nachkommen heute mit gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen in den hiesigen Klassenzimmern sitzen. Als ganz normale MitschülerInnen?

Ein Team des Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen (Pfarrer Martin Autschbach/Schulreferat, David Lambrecht und Ilse Sonntag/langjährige Jugendreferentin) schlug einen weiten Bogen für die Ausstellung „Ihr seid die Schande unserer Schule“ bei ihrer Spurensuche von Rosbach (Sieg), über das ehemalige deutsche Konzentrationslager Stutthof (Polen) ins Heute.

Ausstellung - RollUps

Gefördert im Rahmen des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ entstand nun eine Ausstellung, die das Leben des jüdischen Geschwisterpaares aus Rosbach in den Blick nimmt.

Ruth und Artur Seligmann spiegeln sich dabei in der Erinnerung von Zeitzeugen, die ihre Mitschüler und Spielgefährten nicht vergessen haben.

 

Spurensuche begann vor vielen Jahren in der Film-Vorarbeit

Martin Autschbach und Ilse Sonnentag haben bereits vor mehr als zehn Jahren ihre Spurensuche begonnen. In das Gemeinschaftsprojekt des Jugend- und Schulreferates des Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen waren SchülerInnen der IGS Hamm, Jugendliche des Evangelischen Jugendzentrums und Kinder der Franziskus-Grundschule-Wissen eingebunden.

2001 entstand so zunächst der Film „Ausgerottet“. Die Filmarbeit mit den Jugendlichen wurde bereichert durch die beiden Zeitzeugen Käthe Heuser und Josef Jung, die ihre Erinnerungen an das jüdische Geschwisterpaar Ruth und Artur Seligmann an die Jugendlichen weiterreichten.

Auf das mehrfach prämierte Filmprojekt folgte ein Zweites: „Spurensuche“.

Danach erarbeiteten die beiden Kirchenkreis-Mitarbeiter mit einem Team von Jugendlichen aus den beiden Kirchenkreisen Altenkirchen und Gransee (Brandenburg) in zwei Filmprojekten, wie man jungen Menschen heute die schrecklichen Geschehnisse im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald (bei Weimar) verstehbar macht. Entstanden sind Filme, die Jugendliche ansprechen, deren Umgang mit der Geschichte festhält und auch das Andenken an Kinder und Jugendliche wach hält, die ebenfalls in dem KZ einsaßen und deren Schicksale bislang nur schemenhaft bekannt sind.

Die beiden dort entstandenen Filme „ …kein Wald mit Buchen“ und „Diese Zeit hat es nie gegeben“ wurden ebenfalls prämiert und erhielten u.a. den internationalen „Victor-Klemperer-Preis“.

 

Ausstellung für Schul-, Konfirmanden und Erinnerungsarbeit

Über all diese Filmarbeiten ging allerdings nie der Gedanken an eine Weiterarbeit zur Spurensuche über die Geschwister Seligmann verloren, die nun in die Konzeption einer Wanderausstellung mündet.

Dank der Fördermittel des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, entstand die Ausstellung mit 20 Tafeln, die künftig an vielen Stellen eingesetzt werden kann, etwa in der Schul-, Konfirmanden oder Erinnerungsarbeit. Offiziell wurde die Ausstellung am Donnerstag, 15. November, 16 Uhr, in der IGS Hamm (Filmraum) eröffnet.

Ausstellungseröffnung

Die Ausstellung ist im Schulreferat des Kirchenkreises buchbar (Schulreferat des Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen (02681/800827). Auch Führungen und Begleitung zur Ausstellung sind möglich.

Am 27. Januar 2013 ist die Ausstellung in der Gedenkstätte „Landjuden an der Sieg“ in Rosbach zu sehen.

 

Viele neue Informationen gesammelt

Hatte das Kirchenkreis-Team bereits durch die Vorrecherchen zur Filmarbeit viele Informationen über die Familie Seligmann gesammelt und enge Beziehungen zu den Zeitzeugen Käthe Heuser (Jahrgang 1927) und Josef Jung (1920) geknüpft, so gab es anschließend immer wieder neue „Informations-Steinchen“ im Erinnerungs-Puzzle. Menschen, die rund um die Filmarbeit auf die Spurensuche aufmerksam wurden, gaben ihre Erinnerungen preis oder verwiesen auf neue Quellen.

Josef Jung - Käthe Heuser

Die beiden Zeitzeugen Josef Jung und Käthe Heuser bei der Ausstellungseröffnung im November in Hamm.

„Wir bekamen sogar eine Tagebuchnotiz einer Überlebenden aus New York über die Hochzeit Artur Seligmanns mit einer Kölnerin im Ghetto Riga“, berichtet Schulreferent Martin Autschbach. Von dieser Hochzeit wusste das Team bisher nur durch seine Recherche beim IT S in Bad Arolsen. Auf der Rückseite eines Dokuments war eine Suchanfrage aus England. Das Team nahm Briefkontakt auf und erhielt Fotos von Arturs Frau Inge Zöllner.

24 Mitglieder der Großfamilie wurden zu Opfern des Holocaust und weitere Archivtüren öffneten sich.

„Letztlich ist die Ausstellung fertig, aber abgeschlossen wohl nie“, vermutet Autschbach, der die „Spurensuche“ weiter betreiben will.

Eingeflossen in die Ausstellung sind auch die zahlreichen Gedanken von SchülerInnen, die aus der Arbeit mit den Filmprojekten entstanden.

Jede der 20 Tafeln der Ausstellung ist ein „autonomes Projekt“ und auch einzeln einsetzbar. Verbunden sind sie im Kontext, aber auch in ihrer Darstellungsweise. Jede der gut gestalteten Tafeln ist gekennzeichnet durch ein Zitat, einen geschichtlichen Diskurs sowie Zeitzeugenberichte und Bilder.

Ein ins Layout vieler Tafeln „hinein geklebter“ Impulstext – so als habe man eine Heftseite mit handschriftlichen Notizen aus dem Collegeblock herausgerissen und eingefügt – zieht die Informationen in die Fragewelt des Heute.

Darunter auch die Frage nach dem Umgang mit den fiktiven Nachkommen der Familie Seligmann.

Zeitzeugin Käthe Heuser aus Rosbach, die noch heute im Bereich Windeck (Sieg) lebt, „spricht“ auf den Ausstellungstafeln direkt zu den heutigen Jugendlichen, tritt in einen generationsübergreifenden Dialog mit ihnen ein und lässt sie teilhaben an ihren damaligen Gedanken und Gefühlen.

So „öffnen“ sich die Tafel für Jugendlichen und lässt ihre Gedanken auf Zeitreise gehen und Verbindungen mit ihrer Lebenswirklichkeit entstehen. PES.