Neujahrsempfang 2011
Reformationsjubiläum im Mittelpunkt des Neujahrsempfangs
Manche „konfessionelle Eigenart“ im Kirchenkreis hat ihre Wurzeln im 16. bis 18. Jahrhundert
„Warum heute Einiges so ist, wie es ist“, wurde auf gut nachvollziehbarer Weise beim Neujahrsempfang des Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen deutlich. Das Jubiläum „450 Jahre Reformation in der Grafschaft Sayn“ stand diesmal im Mittelpunkt des Interesses, und mancher weiß nun, warum das „Paradies“ in Niederdreisbach liegt und einige Gemeinden im Kreis Altenkirchen konfessionell so ganz anders sind als ihre Nachbarn.
Neujahrsempfang hat schon Tradition
Alljährlich – seit 1999 – lädt der Evangelische Kirchenkreis Altenkirchen am Montag nach dem ersten Advent zu seinem Neujahrsempfang ein. Da mit dem ersten Advent das neue Kirchenjahr beginnt, ist der „kirchliche Jahresbeginn“ also knapp vollzogen. Gäste des Neujahrsempfangs, zu dem der Kreissynodalvorstand des Kirchenkreises einlädt, sind alljährlich die Mitglieder des Pfarrkonvents und die kommunalen Vertreter des Kreises und der Verbandsgemeinden, sowie die Abgeordneten.
Dazu kommen – je nach Thematik – weitere Gäste aus dem kirchlichen und gesellschaftlichen Umfeld. In diesem Jahr – zum Thema „450 Jahre Reformation in der Grafschaft Sayn“ – waren es neben PresbyterInnen aus den Kirchengemeinden vor allem Menschen, die sich in Vereinen/Schule des Kreises mit der heimatlichen Geschichte beschäftigen.
„Ich freue mich sehr, heute Abend Gäste begrüßen zu können, die sich mit hoher Fachkompetenz und detailreichem Sachwissen der Historie und ihrer archivarischen Aufarbeitung widmen und ihre Kenntnisse und Er-kenntnisse anschaulich vermitteln“, unterstrich Superintendentin Andrea Aufderheide in ihrer Begrüßung in der Daadener Barockkirche.
„Wenn wir auf die Einführung der Reformation in unserer Region vor 450 Jahren zurück blicken, dann würdigen wir dieses Geschehen als eine Bewegung in der Kraft des Wortes. Selbstbewusst versteht sich die evangelische Kirche als „Kirche des Wortes“, aber sie ist auch eine Kirche der Musik, denn mit dem Augustinermönch und Doktor der Theologie Martin Luther beginnt auch die einzigartige und in ihrer Kraft unvergleichliche Singbewegung der Reformation“, hob Superintendentin Aufderheide hervor. Sie lud daher die Gäste ein, mit ihr ein Adventslied von Martin Luther und damit die Reformationsbewegung auch von ihrer kirchenmusikalischen Seite her etwas näher zu betrachten.
1524 entstand „Nun komm der Heiden Heiland“, das zu den 37 geistlichen Liedern gehört, die von Martin Luther überliefert sind. „Allein 24 Lieder gehen auf den Schaffenszeitraum von Herbst 1523 bis Sommer 1524 zurück. Während dieser Monate entdeckt Luther mit sicherem Gespür die Bedeutung des Liedes als Kommunikationsmittel, das die Christusbotschaft in Text und Melodie ganz nah zu den Menschen bringen kann. Luther begreift die pädagogisch vielfältigen Möglichkeiten der Musik, die Menschen berührt, begeistert, Freude in ihnen weckt und Raum gibt, sich zu beteiligen. Außerdem lernen die Menschen durch die Lieder die wesentlichen Gedanken des evangelischen Glaubens kennen und können sich diese singend und klingend zu Eigen machen“, betonte die Theologin in der Daadener Kirche.
„Geschichtliches blinzelt in der barocken Kirche“
Die Daadener Kirche hatte der Kirchenkreis auch deshalb als Ort des diesjährigen Neujahrsempfangs ausgewählt, weil hier sichtbare „Spuren von Lutherischem und Reformiertem hervorblinzeln“, wie es der ehemalige Superintendent und Daadener Gemeindepfarrer Rudolf Steege in seinem Referatspart vorstellte. Dass viele Erstbesucher der Daadener Kirche meinen in einer ursprünglich mal katholischen Kirche zu sein, sei ein Trugschluss, erläuterte Steege. Die barocke Pracht habe ihre Ursprünge lediglich in der Bauzeit. Gebaut wurde die Kirche bereits als evangelisches Kirchengebäude. „Evangelisches“ – mal eher lutherisch, mal calvinistisch – ist an vielen Stellen sichtbar.
Der schlichte Altar und die im Mittelpunkt stehende Kanzel lasse die reformierten Einflüsse gut erkennen, dem lutherischen Anspruch komme hingegen der abgetrennte Chorraum – mit quasi „Abendmahls-Sitzbank“- entgegen.
Sehr anschaulich stellte Pfarrer Steege die Besonderheiten der „Reformations-Geschichte“ in Daaden vor und schärfte den Blick der knapp 100 BesucherInnen für manches Detail, das auch bei künftigen Besuchen in anderen Kirchen der Region Auskunft über deren (wechselvolle) Geschichte geben kann.
Dass man in Niederdreisbach „im Paradies“ ist, hat weder mit deren prämierter Ortsgestaltung noch mit gutem Miteinander der Einwohner zu tun, sondern erwuchs aus „reformatorischen Wurzeln“. Einem Amtsvorgänger Steeges, der im 19. Jahrhundert im „simultanen“ Daadener Land lebte und arbeite (Lutheraner und Reformierte teilten sich über lange Jahre das Daadener Gotteshaus und zwei Pfarrhäuser – ein lutherisches und ein reformiertes- zeugten von der Aufteilung des Bekenntnisses) entfuhr beim Besuch im „100prozentig-lutherischen“ Niederdreisbach dieser Begeisterungssatz „Hier ist das Paradies…“. Ein Wort, das sich festsetzte!
Deshalb liegt Altenkirchen heute in Weimar
Pfr. i.R. Rudolf Steege unterstrich noch einmal anschaulich anhand des überschaubaren Daadetals nebst Höhengemeinden, was zuvor Dr. Andreas Metzing in seinem Vortrag über die spannende Geschichte der Reformation in der Grafschaft Sayn vorgestellte hatte.
Dr. Andreas Metzing, von der Kirchenbuchstelle des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland in Boppard schaffte es, in einem knappen Zeitfenster, mit seinem fundierten, aber trotzdem ‚lockeren’ Vortrag, die vielen Stränge der geschichtlichen und kirchlichen Entwicklungen unserer Region so zu verflechten, dass sowohl die heimischen Geschichtskenner, wie auch die „Nicht-Insider“ viel Wissenswertes „abschöpfen“ konnten.
So manch mitgebrachter „Puzzle-Stein“ – aus der eigenen geschichtlichen oder konfessionellen Schatzkiste – passte nach Metzings Vortrag plötzlich in ein „Gesamtbild“. Den interessiert lauschenden Gästen wurde dann auch deutlich „warum Altenkirchen heute in Weimar liegt“.
Dieser Titel von Metzings Vortrag bezog sich darauf, dass die wechselvolle Geschichte der Grafschaft Sayn – die aufgrund verschiedenster Heiraten der „Herrschaft“ bis nach Sachsen und Franken reichte – heute in Archiven nachvollzogen werden muss, die ziemlich abseits liegen, etwa im Weimarer Archiv, aber auch in Nürnberg oder Wiesbaden.
Waren auch viele Nachbarregionen des heutigen Kirchenkreises Altenkirchen weitaus „schneller“ mit der Einführung der Reformation, so sorgten die politischen Umstände hier eben etwas verspätet dafür, dass nicht nur auf der Herrschaftsebene ein „Flickenteppich“ entstand. Reformation und Gegenreformation, Lutherisches und Calvinistisches prägten den Kreis und sind bis heute spürbar. Erst die „Preußische Union“ in 1817 „glättete“ einige ganz spezielle Eigenarten, konnte aber die „Wurzelberge“ auch nicht gänzlich zuschütten.
Viel Beifall gab es für Dr. Andreas Metzing für sein informatives „Flechtwerk“.
Musik aus der Zeit der Reformation
Kantor Achim Runge (Hamm) hatte für die musikalische Ausgestaltung des Neujahrsempfangs in den Orgelwerken der „Reformationszeit“ gestöbert und brachte das „Präambulum (ex F)“ von Jacob Praetorius (1586 -1651), die
“Sequencia in Resorectione Domini“ von Hans Buchner (1483 – 1538) und die
“Fantasia cromatica” von Jan Pieter Sweelinck (1562 – 1621) mit. In der wunderschön adventlich geschmückten Daadener Kirche setze Runge damit gekonnt wohltönende Akzente.
Austausch und Lektüre
Bei Umtrunk und Imbiss im Daadener Gemeindehaus hatten die Gäste des Neujahrsempfangs anschließend ausreichend Gelegenheit zum Austausch mit den Referenten und untereinander, was ausgiebig genutzt wurde. Susanne Lützenkirchen (Evangelische-Öffentliche Bücherei in Hamm) hatte zudem einen Büchertisch vorbereitet, an dem sich Interessierte über Literatur zur Reformation im Allgemeinen, aber auch in der Region informieren konnten. PES.