Krise macht Schieflage noch deutlicher

„Die wahren Herausforderungen kommen noch!“ Für Margit Strunk, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks in unserem Kirchenkreis, waren die bisherigen Schwierigkeiten der Corona-Krise schon fordernd, aber meist etwas, das technisch und organisatorisch lösbar war. „Unser Team hat hervorragend gearbeitet und wir haben es immer geschafft für die Menschen auch auf Distanz nah zu bleiben und ansprechbar zu sein“.

„Aber die Folgen der Corona-Krise sind und bleiben heftig und fordern uns künftig heraus zu Leistungen, die noch eine ganz andere Dimension als ausgeklügelte Hygienekonzepte haben!“

Für die engagierte Diakonie-Frau werden die täglich zunehmenden Nöte der Menschen (nicht nur) in der Region spürbarer. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit reißen die soziale Schere weiter auf; der Verlust von sozialen Kontakten, der Zusammenbruch wichtiger Strukturen des Zusammenlebens obendrauf: Finanzielle und soziale Nöte wachsen und überfordern viele. „Diese Menschen klopfen bei uns an und suchen dringend nach Hilfe!“

„Corona trifft die, die wenig haben, zuerst. Ein paar Wochen können sich Menschen und Familien vielleicht über Wasser halten, aber früher oder später wird die finanzielle Situation eklatant und manche Krisen sind ohne Hilfe nicht mehr allein zu meistern. Wir sehen stark steigende Hilfe- und Beratungsanfragen auf uns zukommen: z. B: in der Schuldnerberatung, der allgemeinen Sozialberatung, Suchtberatung, Erziehungs- und Familienberatung etc.

Der sozialen Arbeit fehlt die Lobby

Diesen zunehmenden Bedürfnissen der Menschen stellt die Diakonie-Geschäftsführerin die andere „Herausforderung“ gegenüber: Schon heute leidet die „soziale Arbeit“ unter Akzeptanz und fehlenden Geldmitteln. „Es fehlt die starke Lobby.“ Wie in der Pflege in Coronazeiten werde das Beifallklatschen nicht ausreichen, um Rahmenbedingungen grundlegend zu analysieren und Knackpunkte offen zu legen. Und die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sorgen bei Kommunen, Kirchen und anderen Geldgebern abseits von ohnehin stattfindenden Haushalts-Konsolidierungen für weitere Sparzwänge. „Wie wir diese Enden – wachsende Nachfrage der Menschen und eine fehlende nachhaltige und angemessene Finanzierung der Hilfsangebote – zusammenkriegen sollen, ohne dass Ratsuchende und Menschen, die aus welchen Gründen auch immer nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen die Leidtragenden sind, ist für mich noch offen!“

Froh ist Margit Strunk, dass die vielen Arbeitsbereiche die bisherigen Herausforderungen der Krise gut meistern konnten und auf unterschiedlichsten Wegen für die Menschen erreichbar blieben, auch in den Außenstellen. „Wir haben technisch aufgerüstet und viel gelernt – an manchen Stellen sind wir ins ‚kalte Wasser‘ gesprungen und siehe da: Wir konnten schwimmen!“.

Dank der technischen Möglichkeiten ging vieles auch vom Homeoffice aus und in den Bereichen, wo ein menschliches Miteinander unabdingbar war, wurden die Diakonie-Mitarbeitenden kreativ. Sie fuhren vor Ort und im Notfall gab es durchs offene Fenster oder mit Abstand im Garten auch menschliche Nähe und Beistand.

„Aber gut, dass wir nun, mit den entsprechenden Vorarbeiten (Hygienekonzept, Trennscheiben in Beratungsräumen u.a.) tagtäglich wieder mehr im persönlichen Gegenüber anbieten können“, freut sich Strunk, die persönliche Beratung sei nicht zu ersetzen.

Manches geht einfach nicht per Video…

In manchen Arbeitsfeldern wie der Schwangeren-Konfliktberatung oder in der gesetzlichen Betreuung war der persönliche Kontakt auch von den Vorgaben und Inhalten her betrachtet unabdingbar und wurde unter Einhaltung von Schutz- und Hygienemaßnahmen möglich gemacht, wo es notwendig war. „Ein Informationsgespräch zu Hilfsangeboten geht telefonisch, aber eine Konfliktberatung oder Paar-Beratung mit hochstrittigen Partnern ist per Video meist keine gute Lösung …“

„Es blieb uns keine Alternative als kreativ alle Herausforderungen anzunehmen“, schildert die Diakonie-Geschäftsführerin angesichts der Nöte und Sorgen der Menschen, die sich schon seit Mitte März immer stärker offenbarten. „Das haben wir nicht nur bei den Telefonanfragen, sondern auch an der zunehmenden Nutzung unseres Kontakt- und Hilfe-Telefons im Mehrgenerationenhaus gemerkt“.

Gerade für Menschen mit Beeinträchtigungen oder psychischen Problemen sei der Wegfall der Tagesstrukturen kaum aushaltbar gewesen. Begegnung und Austausch fehlten aber allenthalben. Video-Schalten und anregende Projekte auf Distanz – wie etwa im Mehrgenerationenhaus Mittendrin – schafften zumindest ein bisschen Nähe, auch bei den vielen ehrenamtlichen Mitarbeitenden und in den Hilfegruppen. „Aber auch das stößt an Grenzen! Die sozialen Verwerfungen zeigen sich auch bei den technischen Ausstattungen und Möglichkeiten…!“

So ist die Freude bei Vielen groß, dass die Treffpunkte – das Mehrgenerationenhaus in Altenkirchen und das Teehaus in Hamm – wieder (eingeschränkt) geöffnet sind und Treffen von Gruppen und Kurse unter gewissen Einschränkungen möglich sind. „Die Mitarbeitenden spüren, wie groß der Druck war, wie vielen Menschen die Decke auf den Kopf fiel und die Sehnsucht nach „Nähe“ wuchs“.

Ehrenamtliche werden schmerzlich vermisst

Doch die Freude über manche Lockerung wird beim Team des Diakonischen Werkes auch getrübt. Eine bange Frage ist, ob und wann die vielfach älteren Ehrenamtlichen – die sehr vermisst werden – wiederkommen möchten oder können.

Eine andere große Unsicherheit: Wie schaffen wir den zunehmenden Beratungsbedarf angesichts von steigender Nachfrage? Auslaufender Mieterschutz, anhaltendes Kurzarbeitergeld oder Verlust des Arbeitsplatzes und die nur kurzfristig helfenden Kinder-Boni oder die finanziellen Probleme von Solo-Selbstständigen zeichnen schon jetzt ab, dass die Not wächst.

„Auch ohne die neue Krise sind die verschiedenen sozialen Arbeitsfelder vielfach schon lange nicht mehr auskömmlich finanziert. In etlichen Arbeitsbereichen wurden Festbetragszuschüsse über Jahre nicht angepasst und ganze Aufgabenbereiche sind stark unterfinanziert – oder es handelt sich um Projektförderungen, die immens aufwendig in der Beantragung und Abwicklung sind und für Mitarbeitende, auch das darf man nicht vergessen, zunächst einmal befristete Verträge bedeuten. Eine schwierige Situation, die quer durch die allermeisten Wohlfahrtsverbände geht. Und Projektförderungen geben keine langfristige Perspektive. Letzteres ist für ländliche Räume, so Margit Strunk, noch einmal zusätzlich belastend. Die Fachkräfte sind immer schwerer zu finden.

Politik muss gegen Schieflage angehen

„Unsere Gesellschaft weiß ja um die ‚Schieflage‘ und nun müsste auch politisch zugepackt werden“, fordert Strunk. Ob angesichts der vielen Herausforderungen in der Corona-Krise die soziale Arbeit endlich den ihr gebührenden Platz bekommt? Da ist die Diakonie-Frau skeptisch.

Unterkriegen lässt sie sich allerdings nicht. „Wir engagieren uns weiter und geben unser Bestes.“ Auch mit Schutzglas und diversen Hygienekonzepten wollen die Diakonie-Mitarbeiter bei Beratung, Lebenshilfe und Unterstützung der Menschen vor Ort alles Machbare umsetzen. Und :„Wir sind dankbar für jede noch so kleine Hilfe oder Spende“.

Um auch weiterhin die Mitarbeitenden, Besucher und Klienten bestmöglich zu schützen ist eine telefonische Terminabsprache oder Abstimmung per mail der sicherste Weg den man gemeinsam bestreiten will.

Telefonisch sind das Diakonische Werk in Altenkirchen unter 02681-8008 20, die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Altenkirchen mit der Außenstelle Betzdorf unter 02681 -3961, die Außenstelle in Kirchen unter 02741 / 938751, das Teehaus in Hamm unter 02682 / 9656568, das Mehrgenerationenhaus „Mittendrin“ in Altenkirchen unter 02681- 950438 erreichbar. Weitere Informationen auch: www.diakonie-altenkirchen.de ; www.beratungsstelle-altenkirchen.de oder www.mgh-ak.de

Bildtexte:

Geschützt hinter Glaswänden müssen derzeit die Beratungsgespräche im Diakonischen Werk stattfinden. Aber das gesamte Team – hier Angela Hartmann von der „Teilhabe-Beratung/EUTB“ – spürt schon, dass die wahren Herausforderungen der sozialen Arbeit nicht mit „technischen Lösungen“ zu bewältigen sind: die Beratungs-Bedürfnisse der Menschen, denen die Corona-Krise zusetzt, steigen gewaltig. Gleichzeitig werden die finanziellen Möglichkeiten der Helfenden immer enger, beklagt Diakonie-Chefin Margit Strunk. Fotos: Kirchenkreis /Diakonie

 

Für einige Menschen – nicht nur im Beratungsfall – erschwert das Maskentragen der GesprächspartnerInnen das Verstehen immens. Gerade für Menschen, die auch Mimik und Mundbewegungen unbedingt wahrnehmen müssen, hat die Diakonie-Beraterin Angela Hartmann (hier links im Bild) auch eine Schutzmaske mit „Einblick“.