Jahresbericht DW 2011
„Mitten im Leben“
Jahresbericht des Diakonischen Werkes: Armut bleibt Thema!
Wie in jedem Jahr zieht das Diakonische Werk unseres Kirchenkreises in seinem Jahresbericht Bilanz der vielfältigen Arbeit, die dort von Haupt- und Ehrenamtlichen geleistet wird und gibt dabei tiefe Einblicke in die soziale Wirklichkeit des Lebens in unserer Region.
Nachfolgend die einführende Worte von Hubertus Eunicke (Leiter des Diakonischen Werkes) und Pfarrerin Silvia Schaake (Diakoniebeauftragte des Kirchenkreises) in den Jahresbericht. Den vollständigen Bericht können sie hier einsehen.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde des Diakonischen Werkes,
Der vorliegende Bericht informiert über die Arbeit des Diakonischen Werkes im Jahr 2010.
Dieses Jahr hatte die Europäische Union zum „Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ erklärt.
Doch 78 Millionen EU-Bürger gelten weiterhin als arm. Das sind 16 Prozent der gesamten Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund kann man nur feststellen:
Auch das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 hat nicht zu den notwendigen strukturellen Änderungen bei der Armutsvermeidung und –bekämpfung geführt.
Auch im Kreis Altenkirchen bleibt Armut trotz des unerwarteten wirtschaftlichen Aufschwungs weiterhin ein Thema.
Im August 2011 erhielten im Kreis Altenkirchen 3.837 Bedarfsgemeinschaften mit 7.292 Menschen Leistungen nach dem SGB II. Darunter sind 1.867 Kinder unter 15 Jahren. 1.104 Menschen waren im Dezember 2011 auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen und nahezu täglich erleben wir Menschen, die als „Dunkelziffer“ in diesen Statistiken gar nicht erst auftauchen.
Wir fragen: Warum fehlt der Gesellschaft so viel Empathie für die von Armut Betroffenen? Arme müssen sich permanent rechtfertigen, warum sie in diese Lage gekommen sind. Im Kontakt mit den Personen, die unsere Hilfe und unsere Beratung suchen, gewöhnen wir uns ab, von „sozial schwachen“ Menschen zu sprechen. Viele unserer Besucherinnen und Besucher sind zwar finanziell schwach, verhalten sich aber viel „sozialer“ als diejenigen, die oft als „sozial schwach“ bezeichnet werden. Wenn unsere Besucherinnen und Besucher uns schildern, wie sie ihr Leben auch unter harten Bedingungen meistern, nötigen sie uns oft großen Respekt ab, besonders, wenn Notsituationen nicht „selbst verschuldet“ sind.
„Sozial schwach“ sind nach unserem Verständnis Personen und Institutionen, die versuchen, sich der besonderen Verantwortung zu entziehen, zu der Eigentum verpflichtet. Sozial noch schwächer verhalten sich Steuerhinterzieher und diejenigen, die durch Finanz- und Börsengeschäfte ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben.
Armut ist ein Querschnittsthema, das sich nur durch eine strukturierte Sozialplanung, ein Netzwerk von freien Trägern und Politik und die Übernahme persönlicher Verantwortung planvoll bearbeiten lässt. Wir sind bereit, zu diesem Netzwerk das unsere beizutragen und strukturelle und persönliche Verantwortung für die Menschen zu übernehmen, die sich mit dem Thema Armut täglich existentiell auseinandersetzen müssen.
Die anhaltenden Debatten in der Öffentlichkeit zu Beginn dieses Jahres über die Höhe der Regelsätze haben eine Entscheidung in den Hintergrund treten lassen, die für die Situation langzeitarbeitsloser Menschen fast noch gravierendere Konsequenzen hat. Im Etat des Bundesarbeitsministeriums sind die „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II“ für erwerbsfähige Hilfebezieher für das Jahr 2011 um mehr als 1,5 Mrd. Euro gekürzt worden.
Für die Jahre 2012 bis 2014 sind dort weitere Kürzungen vorgesehen, sodass im Jahr 2014 insgesamt 43% weniger Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik zu Verfügung stehen.
Diese Kürzungen verschlechtern die Situation von langzeitarbeitslosen Menschen erheblich. Bereits im Dezember 2010 befanden sich mit 288.600 Personen 12% weniger Menschen in Arbeitsgelegenheiten als ein Jahr zuvor. Mit dem Instrument des Beschäftigungszuschusses sollten 100 000 neue Stellen geschaffen werden.
„Nachdem im Januar 2010 ein Maximum von 42.203 eingerichtete Stellen erreicht wurde, ist die Zahl der Förderfälle im November 2010 bereits auf 27.344 zurückgegangen. Der Ev. Fachverband für berufliche und soziale Integration fordert in diesem Zusammenhang: „Eine soziale Entsorgung langzeitarbeitsloser Menschen auf dem Abstellgleis der lebenslangen Alimentierung kann und darf sich unsere Gesellschaft nicht leisten. Die Beteiligung an Erwerbsarbeit ist eine Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit und Teilhabe“. Die guten Erfahrungen, die wir auch im letzten Jahr mit den Menschen gemacht haben, die wir in einer Arbeitsgelegenheit nach SGB II begleiten durften, ermutigen uns, weiter auf eine nachhaltige und aktivierende Arbeitsmarktpolitik zu drängen.
Auch im vergangenen Jahr haben wir mit den begrenzten Möglichkeiten unseres Werkes und in Zusammenarbeit mit vielen Kooperationspartnern das Machbare versucht, um finanziell schlechter gestellten Menschen weiterzuhelfen.
Die Allgemeine Soziale Beratung und die Schuldnerberatung wurden wieder stark in Anspruch genommen worden von Menschen, die an ihrer Situation nicht selbst „schuld“ sind. (Die Hauptgründe für die Inanspruchnahme der Schuldnerberatung sind Arbeitslosigkeit, Beschäftigung im Niedriglohnbereich, Trennung/Scheidung und Krankheit.) Menschen, die in „Arbeitsgelegenheiten“ vermittelt worden sind konnten wir begleiten und auch durch das Engagement der Einsatzstellen neue Chancen eröffnen.
Auch Kuren oder „Familienferien“, die durch unsere Vermittlung möglich wurden, haben für manche Familien eine Entlastung gebracht.
Der Betreuungsverein hat wieder ein Halbjahresprogramm erstellt, das ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuern bei ihren Aufgaben Unterstützung bietet. Mehr als 2/3 der rechtlichen Betreuungen werden auch im Kreis Altenkirchen ehrenamtlich, vor allem von Familienangehörigen, geführt. Die Menschen, die bereit sind, Verantwortung für andere zu übernehmen, wissen es zu schätzen, dass sie nicht allein sind, wenn es schwierig wird.
Im Fachdienst für Flüchtlinge und Migranten, im Projekt Phönix und im Jugendmigrationsdienst zeigt sich immer wieder, dass gesellschaftliche „Teilhabe“ keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein hohes Gut, um das oft hart gerungen werden muss.
Das Mehrgenerationenhaus „Mittendrin“ hat sich zu einer bewährten und gut angenommenen Einrichtung mitten in Altenkirchen entwickelt und eine Reihe neuer Aktivitäten (z.B. Projekt „Lernpatenschaften“) entwickelt.
Die Nachfrage nach Koch- und Backkursen für Besucher/ innen der „Tafel“ in Wissen und der „Suppenküche“ in Altenkirchen ist ungebrochen –eine wichtige Hilfe bei der Alltagsbewältigung!
Doch auch diese Maßnahmen der Arbeitsförderung können seit Mitte des Jahres nicht mehr fortgeführt werden, da der Bund die finanziellen Mittel hierfür zurückgefahren hat.
Aus der Arbeit der Suchtberatung und den Führerscheinkursen ist ein neues Angebot erwachsen: eine Selbsthilfegruppe für (ehemals) Drogenabhängige ist von zwei ehrenamtlichen Mitarbeitern ins Leben gerufen worden. Die Fachstelle für Suchtprävention hat – in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle des Kirchenkreises – ihr Angebot um eine Gruppe erweitert, bei der die Methode des Psychodramas für die Arbeit mit Kindern fruchtbar eingesetzt werden konnte. Auch die Ambulante Reha konnte wieder vielen Menschen ihren persönlichen Weg aus der Sucht aufzeigen.
Insgesamt liegt wieder einmal ein Jahr hinter uns, in dem wir in vielen Fällen die Auswirkungen von Armut und Ausgrenzung lindern konnten. Wir hoffen, dass auch durch unser Engagement der Wille wächst, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und fühlen uns hierbei gestärkt durch die Jahreslosung: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ (Römer 12,21)
Allen, die uns auch im vergangenen Jahr begleitet, unterstützt und manchen (auch kritischen) Hinweis gegeben haben, sagen wir an dieser Stelle unseren herzlichen Dank. Wir wünschen Ihnen auch eine anregende Lektüre des Jahresberichts, den Sie gern von uns anfordern können, falls Sie ihn nicht ohnehin erhalten haben, und grüßen Sie herzlich.
Pfarrerin Silvia Schaake/Diakoniebeauftragte und
Hubertus Eunicke/ Leiter des Diakonischen Werkes