Flüchtlingshilfe 2016 Demo Daaden

 

„Gelebte Willkommenskultur“
in Kirchenkreis und Gemeinden

Kirchliche Beiträge bei Kundgebung und Andacht in Daaden

 

„Mich bewegen die Schicksale schutzsuchender Menschen. Sie sind unfreiwillige Botschafterinnen und Botschafter von der Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens. Diese zur Flucht Getriebenen bezeugen mit dem Schmerz ihrer Körper und Seelen die Übermächtigkeit von Krisen, Gewalt, Terror und Krieg in ihrer Heimat und damit in der Einen Welt“,  Superintendentin Andrea Aufderheide nahm bei ihrer Rede bei der Kundgebung in Daaden bewusst auch Einzelschicksale in den Blick.

Trotz Schneeregens und Kälte waren viele hundert Menschen (die Schätzungen schwanken zwischen 400 rund 600) zur Kundgebung des „Wäller Bündnisses für Menschlichkeit“  am Donnerstagabend nach Daaden gekommen und setzen ein deutliches Zeichen. 
Auch unser Kirchenkreis mit Superintendentin Andrea Aufderheide und der Daadener Gemeindepfarrer Michael Seim brachten sich in die Kundgebung ein und boten anschließend für die BesucherInnen und Besucher noch eine Andacht – gemeinsam mit Gemeindepfarrer Steffen Sorgatz, den katholischen VertreterInnen Dechant Rudolf Reuschenbach und Gemeindereferentin Martina Hütter – in der Daadener Kirche.

Am Fuße der Kirche,  auf dem Günter-Wolfram-Platz, hatten zuvor, neben den Kirchenvertretern,  Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Ortsbürgermeister Walter Strunk, Landrat Michael Lieber und DGB-Kreisvorsitzender Bernd Becker ihre Plädoyers für einen toleranten, menschenfreundlichen und „bunten Westerwald“  abgegeben.
Das „Wäller Bündnis für Menschlichkeit und Toleranz“ wird u.a. unterstützt von den heimischen Politikern auf allen Ebenen, deren VertreterInnen ebenfalls in Daaden versammelt waren und einen klaren Gegenpunkt zu dem zeitgleich stattfindenden fremdenfeindlichen Aufmarsch zu setzen.

Superiintendentin Andrea Aufderheide

Superintendentin Andrea Aufderheide unterstrich bei der Kundgebung in Daaden, dass der Evangelische Kirchenkreis mit seinen 16 Kirchengemeinden und kreiskirchlichen Einrichtungen für eine gelebte Willkommenskultur eintritt.

Pfarrer Michael Seim 

Gemeindepfarrer Michael Seim lud die TeilnehmerInnen der Kundgebung zur anschließenden Andacht in die Daadener Kirche ein. (Alle Fotos: Petra Stroh)

 

Andacht in der Daadener Kirche

Im  Anschluss an die Kundgebung gab es – nach einladendem Glockengeläut – eine Andacht in der Daadener Barockkirche. Hier wirkten neben den beiden Gemeindepfarrern Michael Seim und Steffen Sorgatz, Superintendentin Andrea Aufderheide, die beiden katholischen VertreterInnen Dechant Rudolf Reuschenbach und Gemeindereferentin Martina Hütter sowie Organistin Claudia Sieler mit.
Die Kollekte des Gottesdienste – mehr als 270 Euro – geht an den „Förderverein für die Erstaufnahmeeinrichtung Stegskopf e.V.“ und unterstützt damit auch die Arbeit der Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe Heller-/Daadetal.

Kirche in Daaden

Gemeindepfarrer Michael Seim

 

Andacht zu 3. Mose 19,33f gehalten am 7.I.2016 in der Evangelischen Kirche zu Daaden/ Pfarrer Michael Seim

Liebe Gemeinde!
 Wir haben es eben aus den biblischen Schriften deutlich gehört:
Der Fremde soll bei Euch wohnen wie ein Einheimischer unter Euch, und Du sollst ihn lieben wie Dich selbst – er ist wie Du.                         3. Mose 19,34
So etwa fordert es Gott von seinem Volk Israel, und er erinnert es dabei an dessen eigene Erfahrung:
Denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägypten.
Ihr wisst also, wie das ist – unfair behandelt und ausgegrenzt zu werden. Dem Volk Israel wird so seine eigene Erfahrung auch nach Generationen immer wieder vor Augen gehalten, und der Psalmbeter weiß zu sagen:
Der HERR liebt die Gerechten.
Der HERR behütet die Fremdlinge
und erhält Waisen und Witwen.                                                             Ps 146,8f
Oder mit anderen Worten: Dieser Beter weiß: Weil Gott Gerechtigkeit liebt, sorgt er sich um die, denen Unrecht widerfährt und schafft ihnen Recht. Nur weil diese Menschen und eben auch die Fremdlinge Gott besonders am Herzen liegen, darum sorgt er ja für diesen Rechtssatz; und entsprechend liebt Gott dann auch die, die sich für das Recht der Benachteiligten einsetzen; er liebt gerade die, die sich an sein Recht und an seine Gerechtigkeit halten.
 Ganz entsprechend hat dann Jesus in seinem Gleichnis vom Weltgericht folgendes gesagt:
Ich bin hungrig gewesen und Ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und Ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und Ihr habt mich aufgenommen. … Was Ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Schwestern und Brüdern, das habt Ihr mir getan.                      Mt 25,35.40
 Diese Worte mögen schon so vielfach gesagt, zitiert und wiederholt sein, aber sie sind meines Erachtens gerade in unserer Situation so elementar. Gerade diese Worte machen uns doch auch heute noch nach über 2000 oder sogar nach über zweieinhalbtausend Jahren deutlich, was letztlich von uns gefordert ist. Und mit diesen Worten bekräftigt Jesus Christus doch gerade das alte Gebot Israels, das von Anbeginn an dem Volk Israel mit auf dessen Weg gegeben war.
Der Fremde soll bei Euch wohnen wie ein Einheimischer unter Euch, und Du sollst ihn lieben wie Dich selbst.
 Auch wenn dies ein Gebot des Volkes Israel ist, machen doch gerade die Worte Jesu Christi klar: Das gilt auch weiterhin. Das gilt auch für uns. Denn Gott bleibt sich in allem treu. Gott bleibt durch alle Zeiten bis heute der, der die Fremdlinge behütet, wie der Psalmbeter voller Hoffnung sagt.

 Und auch wenn wir noch davon entfernt sind, dass die Gäste auf dem Stegskopf
wohnen wie die Einheimischen unter Euch,
so möchte ich doch auch an dieser Stelle meinen Dank für all das ausdrücken, was an Hilfe vor Ort für Flüchtlinge und für unsere Gäste auf dem Stegeskopf getan wird. Wir alle – ob wir Christen oder Nichtchristen sind – wir alle werden für diese Aufgabe, die uns so gestellt ist, noch einen langen Atem und viel Kraft brauchen. Und dieser Dienst wird auch uns und unsere Gemeinschaft hier vor Ort verändern und bereichern, wie ich empfinde. Aber seitdem diese Welt um den Gott Israels und um sein Kommen in Jesus Christus seinem Sohn weiß, – seither lässt sich zu Recht sagen:
Zuflucht ist ein Menschenrecht!
Und darum heißen wir als Christen oder Nichtchristen unsere Gäste willkommen, und ich bitte Gott darum, dass er uns die nötige Kraft,
seine lebendige Phantasie
und einen langen Atem schenkt dafür,
dass auch unter uns wahr werde:
Der Fremde soll bei Euch wohnen wie ein Einheimischer unter Euch, und Du sollst ihn lieben wie Dich selbst – er ist wie Du.                         3. Mose 19,34 . Amen.

 

 

 

 

Rede Superintendentin Andrea Aufderheide – Auszüge

Menschen, die vor Krieg, Hunger, Gewalt und Verfolgung aus ihrer Heimat fliehen mussten, haben schwerste Schicksale erlebt.

Schicksale, wie das der syrischen Familienväter, die ihre Frauen und minderjährigen Kinder nachholen dürfen, nicht aber ihre 18-, 19-, 20 – jährigen Söhne und Töchter, die allein in Syrien bleiben müssen.
Schicksale, wie das der Romafrau aus Mazedonien, die so sehr traumatisiert ist, dass sie mehr Zeit in der Psychiatrie verbringt als zu Hause, und deren Mann sich – so gut es geht – um die vier Kinder kümmert.

Schicksale, wie das der 24–jährigen Sultana, die das, was sie erlebt hat, bisher nur in Bildern zur Sprache bringen kann. Sie malt ihre Flucht über das Mittelmeer und erzählt vom Schrecken in einem überfüllten, nussschalenförmigen Boot.
Verzweifelt klammern sich die Menschen am Bootsrand fest, um nicht über Bord zu gehen. Im Wasser schreien Ertrinkende in Todesangst.
Sultana sagt: „Das Bild zeigt Flüchtlinge wie mich, die ihre Heimat wegen des Krieges verlassen mussten. Sie überqueren das Meer und nehmen damit die Gefahren von Untergang und Tod auf sich (…). Leider schaffen es manche von ihnen nicht und werden vom Meer verschluckt.“
Schicksale, wie das des 12- jährigen afghanischen Jungen, der bei einem Anschlag seine gesamte Familie mit Ausnahme des achtjährigen Bruders verliert. Beide müssen fliehen, um nicht von den Taliban entführt und zu Selbstmordattentätern ausgebildet zu werden. Zwei Kinder auf der Flucht. Der 12- Jährige schafft seinen Weg bis nach Deutschland. Sein jüngerer Bruder sitzt schutzlos und allein in Griechenland.
Ob es für die Brüder auf ihrer Odyssee nach einer friedlichen Welt je ein glückliches Wiedersehen geben wird?

Mich bewegen diese Schicksale schutzsuchender Menschen. Sie sind unfreiwillige Botschafterinnen und Botschafter von der Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens. Diese zur Flucht Getriebenen bezeugen mit dem Schmerz ihrer Körper und Seelen die Übermächtigkeit von Krisen, Gewalt, Terror und Krieg in ihrer Heimat und damit in der Einen Welt. Täglich machen uns diese Menschen klar, dass keine Barriere sie von ihrer Flucht abhalten kann. Ihre Hoffnung nach einem Ende von Gewalt und Terror ist ungebrochen. Ihre Hoffnung entspringt dem Überlebenswillen, der uns Menschen selbst in Grenzsituationen nicht aufgeben lässt.

Längst hat das Thema Flucht das gesellschaftliche Miteinander in Europa polarisiert. Der Ton ist rauer geworden; die Stimmung aggressiver, und mittendrin die nach Obdach Suchenden…

…Ich danke Ihnen, liebe Westerwälderinnen und Westerwälder, dass Sie heute Abend so zahlreich nach Daaden gekommen sind, und es freut mich, unter Ihnen auch viele Menschen aus den Gemeinden unseres Kirchenkreises zu sehen.
Danke an Sie alle hier auf diesem Platz! Nicht nur Bad Marienberg und Rennerod, sondern auch das Daadener Land spricht heute ein starkes Bekenntnis für Menschlichkeit und Toleranz aus!

Danke für Ihre Entschlossenheit, mit der Sie menschenverachtendem Hass und rassistischer Hetze entschieden entgegentreten und das „Wäller Bündnis für Menschlichkeit und Toleranz“ stärken!

Danke, dass Sie sich von Ihrem beeindruckenden Engagement für die Flüchtlinge auf dem Stegskopf und an den anderen Orten unserer Region, wo Zufluchtsuchende leben, nicht abbringen lassen!
Denn Hass und Hetze dürfen keinen Raum in unserer Gesellschaft bekommen, und alles, was eine menschenfeindliche Haltung „salonfähig“ macht oder diese gar unterstützt, braucht unseren unüberhörbaren Widerspruch!

Natürlich ist es wichtig, dass die Sorgen und Ängste vor Überforderung, die Menschen angesichts der weitreichenden Veränderung unserer Gesellschaft äußern, ernst genommen und konstruktiv bearbeitet werden. Aber sie dürfen keinesfalls von denen missbraucht werden, die Hass und eine menschenfeindliche Stimmung entfachen wollen.
Dazu sagen wir auch als evangelische Christinnen und Christen im Kreis Altenkirchen entschieden Nein!

Als Ev. Kirche prägen wir das Zusammenleben in unserer Gesellschaft mit. Daher treten wir – hier im Westerwald – als Ev. Kirchenkreis Altenkirchen mit 16 Kirchengemeinden und kreiskirchlichen Einrichtungen für eine gelebte Willkommenskultur ein!
Wir stellen uns begleitend und beratend an die Seite der Flüchtlinge, weil wir wollen, dass ihre Integration in unser Gemeinwesen schon am ersten Tag beginnt.
Das erfordert einen langen Atem, aber Christen haben diesen langen Atem, denn sie leben aus der Kraft eines menschenfreundlichen Gottes, der uns annimmt und will, dass wir andere annehmen.

Darum werden wir auch nicht müde, unserem biblischen Auftrag folgend, immer wieder daran zu erinnern: Zuflucht ist ein Menschenrecht! Und Die Menschheitsgeschichte ist eine unaufhörliche Geschichte von Flucht
und Migration.
Davon erzählt bereits die Bibel, von Abraham, der aus Ur in Chaldäa, das im heutigen Irak liegt, auswandert; oder vom Volk Israel, das aus Ägypten, dem Machtbereich Pharaos, flieht, wo es Generationen lang als politisch unterdrückte Minderheit lebt; oder von Jesus, auf dessen Geburt der Kindermord in Bethlehem und die Flucht seiner Familie nach Ägypten folgen.
Schon zurzeit Jesu funktioniert die Spirale der Gewalt. Religiös und politisch motivierter Terror provoziert brutale Gegenschläge der Römer – bis am Ende nichts mehr bleibt: außer Elend, Tod, Zerstörung, Flucht…

Alles zu tun, um sich der Not der Flüchtlinge anzunehmen, sie vor Gefahren zu retten, sind nicht nur humanitäre Pflicht und sichtbare Zeichen von Barmherzigkeit und Nächstenliebe, sondern auch Ausdruck gelebter Gerechtigkeit und Verantwortungsübernahme.
Darum setzen wir uns als evangelische Christinnen und Christen für die wirksame Bekämpfung von Fluchtursachen ein durch Beseitigung ungerechter Wirtschaftsstrukturen in der globalisierten Welt.

Leider haben wir in unseren Gesellschaften in Europa alle zu lange ausgeblendet, dass auch wir einen Anteil an den weltweiten Fluchtbewegungen haben.
Das zu erkennen, ist bitter, aber wir alle sind aufgefordert, unsere Möglichkeiten zur Umkehr dieser ungerechten Verhältnisse auszuschöpfen.

Flüchtlinge haben ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben! Dieses Recht umzusetzen und Schutzsuchende nachhaltig zu integrieren, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Daran wirken wir als Ev. Kirche und auch als Ev. Kirchenkreis Altenkirchen aktiv mit.  Unser Glaube verpflichtet uns dazu. „Der Fremde soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer, und du sollst ihn lieben wie dich selbst“, heißt es in der Bibel (3.Mose 19,34)
Darum ist uns wichtig, dass alle Kooperationspartner: Land, Kreis, Kommunen, Kirchen, Werke, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften an der Erfüllung dieser Integrationsaufgabe eng vernetzt zusammenarbeiten und für unsere Westerwälder Region gute Konzepte weiterentwickeln, die dieser Herausforderung gerecht werden.

Wo immer es möglich ist, wollen wir in unseren Ev. Kindertageseinrichtungen Plätze für Kinder aus Flüchtlingsfamilien einrichten.
Wir laden Kinder aus Flüchtlingsfamilien ein, Angebote der Kinder- und Jugendarbeit für sich zu nutzen.
Unsere Kirchengemeinden bieten – vielfach in Kooperation mit ökumenischen und nichtkonfessionellen Partnern – Begegnungstreffen an, zu denen erwachsene Flüchtlinge eingeladen sind; auch Sprachkurse, Beratungsangebote, Kleiderhilfeprojekte gehören dazu sowie Fortbildungen für Ehrenamtliche, die durch das Diakonische Werk Altenkirchen unterstützt werden.
Die Fülle der unterschiedlichen Aktivitäten für und mit Flüchtlingen – kirchlich wie kommunal – ist beachtlich und überaus dankenswert!…

In dieses beeindruckende Spektrum, das ein Miteinander in Vielfalt will und lebt, gehört für mich auch die Initiative „Ehrenamtliche Flüchtlingshilfe Heller-Daadetal“, die die Verantwortlichen der AfA Stegskopf unterstützt. Da haben Fremdenfeindlichkeit und Hass keinen Platz! Darum danke ich all denen sehr herzlich, die sich in dieser Initiative oder auch in anderen Aktionskreisen und Einrichtungen engagieren!

Das Diakonische Werk Altenkirchen ist übrigens die einzige Beratungseinrichtung in unserem Landkreis, die eine Asylverfahrensberatung vorhält und gehört zu den nur fünf Einrichtungen in Rheinland-Pfalz, die eine psychotherapeutische Beratung für traumatisierte Flüchtlinge und Folterüberlebende anbieten.
Da die Europäische Union seit 2015 neue Förderschwerpunkte für die Arbeit mit Flüchtlingen gesetzt hat, erfahren traumatisierte Flüchtlinge leider nicht mehr die Priorität der Förderung. Hier sehen wir politisch dringenden Handlungsbedarf!

Liebe Westerwälderinnen und Westerwälder,
unser Land wird sich mit den Zugewanderten verändern. Die Herausforderung ist groß, aber auch unsere Kräfte sind groß. Wir alle bringen das Potential mit für eine gelingende Zukunft: nicht nur diejenigen, die schon länger in Deutschland leben sondern auch die neu hinzukommenden Mitmenschen. Sie tragen nicht nur Bilder von Schrecken und Traurigkeit in sich, sondern auch von Hoffnung und Frieden.

So malt der 18- jährige Mazen (er stammt wohl aus Syrien; sein Name bedeutet: „der Großherzige“) das Bild einer Winterlandschaft.
Hell glitzert der Schnee vor nächtlichem Himmel. Umrisshaft sind ein paar Häuser und Bäume zu erkennen.

Mazen sagt: „Ich erträume mir für meine Zukunft ein Zuhause, in dem ich zur Ruhe kommen kann und in dem die Welt so friedlich ist wie eine Winterlandschaft mit frischem, sauberem Schnee.“

Vielleicht liegt unsere Zukunft dort, wo wir das Leben von Mazen, aber auch von Sultana und den beiden afghanischen Brüdern zum Strahlen bringen, weil wir Flüchtlinge nicht als Gefährdung sondern als gefährdet erkennen und sie respektieren und annehmen als diejenigen, die sie sind: Menschen mit einer Lebensgeschichte, mit Ängsten und Hoffnungen, mit Familie und Freunden – und mit der je eigenen, unantastbaren Würde!

 

Rede Gemeindepfarrer Michael Seim – Kundgebung:

 Der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer hat gegenüber seinen Vikaren einst sehr früh den Satz geprägt:
Nur wer für die Juden schreit,
darf auch gregorianisch singen.
Hintergrund dieses Satzes waren der heute allseits bekannte Beginn der nationalsozialistischen Judenverfolgung und Judenvernichtung einerseits, und andererseits die heute unbekanntere Wiederentdeckung der gregorianischen Gesänge und deren Auswirkung auf eine erneuerte Liturgie in den Kirchen.
Nur wer für die Juden schreit,
darf auch gregorianisch singen.
Mit anderen Worten meint das: Theologie und gelebter Glaube auf der einen Seite und Politik und gelebter Alltag auf der anderen Seite sind im christlichen Glauben die beiden Seiten ein- und derselben Medaille. Oder anders ausgedrückt: Ins Gebet vertiefen und sich darin versenken, das geht einher mit einem klaren Standpunkt in dieser damals drängenden Frage:
Nur wer für die Juden schreit,
darf auch gregorianisch singen.

 Achtzig Jahre später möchte ich diesen Satz Dietrich Bonhoeffers heute aktuell interpretieren und behaupte:
Nur wer sich für Flüchtlinge einsetzt,
(hier vor Ort und überall in der Welt)
der darf auch Weihnachtslieder singen.
Noch mal:
Nur wer sich für Flüchtlinge einsetzt,
der darf auch Weihnachtslieder singen.
 Denn an Weihnachten geht es doch darum, dass Gott aus einer ganz anderen Welt in Jesus Christus sozusagen in unsere Welt und in unser Leben kommt. Gott selbst kommt also sozusagen aus der Fremde.
Und an Weihnachten wird uns dann die Geschichte von Menschen erzählt, die sich aufgrund des Willens einiger Mächtiger auf den Weg in die Fremde machen mussten.
Maria und Josef mussten zunächst Nazareth verlassen, um nach Bethlehem zu gehen – und sie fanden dort keine Bleibe. Das ist das, was viele Menschen auf ihrer Flucht auch heute erfahren: Sie finden keine Bleibe.
Und dann mussten Maria und Josef mit dem Christuskind ganz aus dem Land fliehen, um eben das Leben ihres Kindes, des Sohnes Gottes, zu retten. Und entsprechend haben sich in diesen Zeiten viele Menschen auf den Weg gemacht, um ihr Leben oder um das Leben ihrer Familien und ihrer Kinder aus Not und Elend zu retten.
 Weihnachten erzählt uns also sehr deutlich die Geschichte auch einer Flucht und eines Kommens und Überlebens in der Fremde. Und das Besondere dabei ist für mich: Die biblischen Schriften gehen gerade nicht an der Realität dieser Welt vorbei. Denn Gottes Sohn findet wie viele Flüchtlinge heute zunächst keine Bleibe. Und Gottes Sohn Jesus Christus muss selbst zunächst vor der Gewalt und dem Terror eines Herrschers bewahrt werden und fliehen. Darum behaupte ich also:
Nur wer sich für Flüchtlinge einsetzt,
der darf auch Weihnachtslieder singen.
 Denn seither ist es doch unser christliche Auftrag, Hungernden zu essen, Dürstenden zu trinken, Bedürftigen Kleidung und Fremden ein Zuhause zu geben. Und ich bin so dankbar für Sie und euch alle heute hier, dass wir gemeinsam dafür ein Zeichen setzen. Und ich bin dankbar für so viele Menschen, die genau das tun und sich etwa in der Flüchtlingshilfe Heller-Daadetal, aber auch sonst in den Gemeinden und Gemeinschaften für unsere Gäste auf dem Stegskopf einsetzen, so gut wir dies vermögen. Denn:
Nur wer sich für Flüchtlinge einsetzt,
der darf auch Weihnachtslieder singen.