Festpredigt zum Männersonntag

von  Heinrich Bedford-Strohm, EKD-Ratsvorsitzender, am 22. Juli 2018 in Daaden

 

zu: 1. Thess 5, 16-23

Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch. Den Geist löscht nicht aus. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles und das Gute behaltet. Meidet das Böse in jeder Gestalt. Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für das Kommen unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.

Liebe Schwestern und Brüder,

manchmal bleibt mein Laptop einfach hängen. Er braucht immer länger, um meine Befehle zu verarbeiten. Wenn ich Worte in eine Datei tippe, braucht er manchmal Sekunden, bevor ich die Worte auf meinem Bildschirm sehe. Und am schlimmsten ist es, wenn er dann plötzlich hängenbleibt, meistens in den eiligsten Situationen. Erst nach vielen Minuten bewegt sich der Cursor wieder und ich kann das zuletzt Geschriebene endlich speichern. Mein IT-Mann sagt mir, dass ich meinen Laptop nicht einfach immer nur zuklappen und damit auf Stand By stellen darf, sondern ihn komplett neu starten muss, so dass er von allem Datenabfall gereinigt wird. Und es stimmt: der Neustart hilft wirklich.

So etwas müsste es für das ganze Leben geben. Einfach neu starten und den ganzen Müll hinter sich lassen, den die Alten einmal „Sünde“ genannt haben. Neu anfangen und so leben, dass am Ende alle glücklichere Menschen sind. Träumen darf man davon ja jedenfalls. Ich träume von einer anderen Welt. Ich träume davon, wie die Welt sein könnte, wenn wir Menschen uns an bestimmte Grundorientierungen einfach halten würden. Ich träume von dem Glück, das es für uns alle bedeuten würde, wenn wir Menschen einen Neustart machen würden und unser Programm neu laden und endlich danach leben würden.

Die Worte aus dem Thessalonicherbrief sind für mich wie so ein Programm für den Neustart. Das Böse in jeder Gestalt meiden. Dankbar sein in allen Dingen. Alles prüfen und das Gute behalten. Im Gebet im Kontakt mit Gott sein. Den Geist zu spüren und sich von ihm Kraft geben lassen. Durch prophetische Rede immer wieder Orientierung geben lassen und sich danach neu ausrichten. Und durch diese Art des Zusammenlebens allezeit fröhlich sein dürfen.

Welch eine Vision des guten Lebens! Welch verlockender Weg! Welch ein Angebot für uns Menschen auf der Suche nach dem Glück!

Nichts weniger als dieses Angebot ist es, was uns heute am Männersonntag hier in Daaden zusammenführt. Als Menschen, die vor Gott treten mit allen Stärken und Schwächen, und mit vielen Fragen. Als Menschen, die Orientierung suchen. Als Menschen, die bei Gott Orientierung suchen.

Orientierung brauchen wir ganz bestimmt in einer Welt, in der so viel ins Wanken gekommen ist. In der so viele Optionen, sein Leben zu gestalten, auf dem Tisch zu liegen scheinen. Und in der nicht mehr andere darüber entscheiden, wie wir leben sollen, sondern wir selbst die Freiheit dazu haben. Das ist zwar manchmal ziemlich anstrengend. Ich sehne mich trotzdem nicht nach den Zeiten zurück, in denen andere über das Leben von Menschen entschieden haben oder in denen es bestimmte Konventionen gab, die so fest waren und deren Verletzung so massive soziale Sanktionen nach sich zog, dass alle sich daran hielten auch wenn sich in ihnen alles dagegen aufbäumte. Die „gute alte Zeit“ ist ein Mythos. Ich bin dankbar für die Freiheiten, die wir heute haben, soviel uns der verantwortliche Umgang mit diesen Freiheiten heute abverlangt.

Das Männerbild ist ein gutes Beispiel. Wie viele junge Männer sind in der Vergangenheit daran kaputtgegangen, dass sie nach außen hin stark sein sollten, obwohl sie sich innerlich schwach und verletzlich gefühlt haben und einfach eine zärtliche Umarmung gebraucht hätten! Wie viele Söhne sind an der Seele beschädigt worden, weil ihre Väter sie nicht wirklich gesehen haben, sondern nur ein bestimmtes Männlichkeitsbild vor Augen hatten, dem die Söhne gerecht werden sollten! Wie viele Soldaten sind im Krieg gefallen, weil sie einem männlichen Tapferkeitsideal nacheiferten, das in Wirklichkeit den Blick für das Sinnlose des Krieges nur verschleierte?

Es ist gut, dass wir heute neu über das Mannsein nachdenken. Und alte geschlechtsspezifische Festlegungen überwinden, die sich nicht bewährt haben. Aber was heißt es heute, ein Mann zu sein? Ganz bestimmt nicht heißt es, sich von den Erwartungen anderer, vielleicht auch nur ihren vermeintlichen Erwartungen, abhängig zu machen. Denn die ändern sich. Wer in den 70er und 80ern ein „neuer Mann“ sein wollte, der musste männliche Sensibilität neu entdecken, hinhören lernen, sich von der Machtlogik zur Beziehungslogik hin entwickeln. Nur um dann wenig später als „lieber Sensibler“, mit dem Harmlosigkeitsetikett versehen, doch eher als Langweiler gelten zu dürfen. Vielleicht würde man heute eine Art empathische Virilität als Männlichkeitsideal ausrufen, also eine Klarheit und Festigkeit, die Fels in der Brandung sein kann, ohne dadurch Mitgefühl und Einfühlsamkeit zu verlieren.

Was immer die Ideale des Mannseins sein mögen: Entscheidend ist, ob wir solchen Idealen hinterherrennen, uns von ihnen abhängig machen, uns von ihnen unter Druck setzen lassen, oder ob wir Quellen unserer Identität haben, die tiefer gehen. Ich wüsste keine kraftvollere, lebensfreundlichere, ganzheitlichere Identitätsquelle als den christlichen Glauben.

Denn ich darf wissen: Ich bin von Gott geschaffen samt allen Kreaturen. Ich darf mit Psalm 139,14 sagen: „Ich danke dir, Gott, dass ich wunderbar gemacht bin.“ Weil ich das tief in der Seele weiß, deshalb sehe ich auch in dem Anderen das gute Geschöpf Gottes, geschaffen zu seinem Bilde, und kann den Nächsten lieben wie mich selbst.

Und wo ich mich selbst nicht mehr leiden kann, wo ich weiß, dass ich Mist gebaut habe, da darf ich sagen: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Und darf die Erfahrung der Heilung machen. Mit anderen zusammen darf ich beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“

Ich darf ganz im Hier und Jetzt leben und muss mich nicht immerzu sorgen, weil ich weiß: Die Vögel unter dem Himmel säen nicht und ernten nicht und ihr himmlischer Vater ernährt sie doch. Die Lilien auf dem Felde sind viel schöner gekleidet als Salomo, obwohl sie sich nicht selbst kleiden. Ja, ich muss mich nicht sorgen, weil Gott für mich sorgt.

Ich muss nicht vor dem Leid anderer oder dem Leid in meinem eigenen Leben weglaufen, weil ich weiß: Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

Und ich darf aus der Zuversicht leben, weil ich nicht auf ein dunkles Loch sondern auf einen neuen Himmel und eine neue Erde zugehe.

Kann sich irgendjemand etwas Schöneres vorstellen als so leben zu dürfen? Als Christen, liebe Gemeinde, als Christen dürfen wir genau so leben. Und genau deswegen ist es eine Lust, ein Christ oder eine Christin zu sein.

Und als Männer müssen wir keinen Idealbildern von Mannsein hinterherlaufen. Wir dürfen einfach sein. Weil wir wissen: Mann sein heißt vor allem Mensch sein. Es hat schon seinen guten Sinn, dass wir sagen: In Christus ist Gott Mensch geworden. Wir könnten ja auch sagen: In Christus ist Gott Mann geworden. Wir sagen aber, Gott ist Mensch geworden, weil wir genau spüren, dass es bei den entscheidenden Eckpunkten für ein gutes Leben nicht auf das Geschlecht ankommt, sondern jeder und jede es gemäß ihrer oder seiner Persönlichkeit leben darf: Das Böse in jeder Gestalt meiden. Dankbar sein in allen Dingen. Alles prüfen und das Gute behalten. Im Gebet im Kontakt mit Gott sein. Den Geist zu spüren und sich von ihm Kraft geben lassen. Durch prophetische Rede immer wieder Orientierung geben lassen und sich danach neu ausrichten. Und durch diese Art des Zusammenlebens allezeit fröhlich sein dürfen.

Das ist eine Vision von Menschsein, die für uns alle Orientierung gibt, egal welches Geschlecht wir haben. Und die uns einen festen Grund gibt für die Frage, wie wir in einer Welt, die sich so sehr und mit immer größerer Geschwindigkeit verändert, unser Menschsein leben und unseren Glauben bezeugen können.

Das ist für einen jeden Einzelnen von uns, aber auch für uns als Kirche insgesamt eine wichtige Frage. Und es ist eine schwierige Frage. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass wir als Kirche immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt sind, wir würden dem Zeitgeist hinterherrennen. Einmal kommt der Vorwurf von der einen Seite, einmal kommt er von der anderen Seite. Gerade bei den Diskussionen rund um die Geschlechterfrage wird er gerne erhoben. Die Beschäftigung mit dem Geschlecht in der gender-Forschung etwa wird verdammt und als Ausverkauf des Glaubens an den Zeitgeist gebrandmarkt.

Deswegen ist der vielleicht wichtigste Satz in den Worten aus dem Thessalonicherbrief die Ermahnung zum richtigen Umgang mit den Geistern, auch den Zeitgeistern: „Prüft aber alles und das Gute behaltet.“ Zeitgeister sind also offensichtlich nicht in sich etwas Schlechtes. Sondern nur die Zeitgeister, die von den lebensfreundlichen Orientierungen Gottes wegführen. Etwa die Vergötzung des Geldes. Oder der Kult des Starken, wie er im nationalsozialistischen Menschenbild seinen Ausdruck fand. Oder ein nationalistischer Zeitgeist, der schon in der Vergangenheit so viel Unheil angerichtet hat.

Es gibt aber eben auch das Umgekehrte: dass die Christen etwas als „Zeitgeist“ zurückgewiesen haben, was sich am Ende als ihre ureigene biblisch gegründete Sache erwiesen hat. Die Menschenrechte sind so ein Beispiel. Sie mussten gegen die Kirchen erkämpft werden. Religionskritische aufklärerische Kräfte mussten uns als Kirchen im 18. und 19. Jahrhundert zeigen wie unverletzlich die Würde des Menschen ist und damit daran erinnern, was es heißt, dass der Mensch geschaffen ist zum Bilde Gottes.

Ich persönlich glaube, dass man Ähnliches auch irgendwann in der Zukunft über den Umgang der Kirchen mit dem Thema Homosexualität sagen wird. Man wird nicht mehr verstehen, warum wir als Kirchen aufgrund einiger weniger Bibelstellen so lange daran festgehalten haben, dass Homosexualität Sünde sei, warum wir gleichgeschlechtlich liebende Menschen in ihren tiefsten Gefühlen unter den Verdacht moralischer Verwerflichkeit gestellt haben. Erst wenn wir vor dem Richterstuhl Gottes stehen, werden wir die Wahrheit wirklich erfahren.

Angst vor dem Zeitgeist müssen wir nicht haben. Aber die Geister unterscheiden, das sollen wir. Und dann das Gute behalten.

Als Rüstzeug gibt uns Paulus seine Vision des guten Lebens aus dem 1. Thessalonicherbrief mit: „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch. Den Geist löscht nicht aus. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles und das Gute behaltet. Meidet das Böse in jeder Gestalt.“

Ich träume von einer Welt, in der diese Vision wahr wird. Wir dürfen von einer besseren Welt träumen. Die größte Versuchung im Leben ist es, Träume mit der Realität zu vermengen – das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass es die größte Niederlage ist, Träume zugunsten der Realität aufzugeben.

Wir müssen gar nichts aufgeben. Weil wir Christen wissen: Mit Gott darfst du jeden Tag einen Neustart machen. Mit Gott darfst du jeden Tag sein faszinierendes Programm neu laden. Und die Kraft gewinnen, auch danach zu leben. Du selbst zu werden. Mensch zu werden. Heil zu werden.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN