Biografiearbeit

„Im Blick zurück frei werden für die Zukunft“

Beratungsstelle des Evangelischen Kirchenkreises bietet Gruppen zur an

 

Am Donnerstag, 18.Oktober, (16.30 bis 18 Uhr) startet vierzehntägig eine neue Gruppe zur in den Räumen der – Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene des Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen, Stadthallenweg 12. Die Gruppenleitung hat – wie bei den vorangegangen Gruppen in Altenkirchen und Daaden – Dipl.-Psych. Wolfgang Fanter.

Themen der Gruppensitzungen sind: Der rote Faden in meinem Leben – Wichtige Menschen in meinem Leben – Wie war es wirklich? – Lebensmottos – Abschied und Neubeginn – Was mein Leben beschwert, was es erleichtert hat – Auf alle Fälle ICH – Auf der Suche nach Sinn – Resigniert und deprimiert ins Alter? – Vertrauen neu begründen – Vater und Mutter: Wie habe ich sie erlebt? – Die Lebensfreude ins eigene Leben hineinholen.

Da die Teilnehmerzahl begrenzt ist, ist eine vorherige Anmeldung tel. unter 02681/3961 oder persönlich im Sekretariat der Beratungsstelle erforderlich. Ein Programm ist ebenfalls unter der angegebenen Telefonnummer erhältlich.

 

Rückblick auf das gelebte Leben

Interview mit dem Leiter der Beratungsstelle, Diplom-Psychologe Wolfgang Fanter, zur

Herr Fanter, liegt zurzeit im Trend. Was bewegt Menschen, auf die Vergangenheit zurückzublicken?

Fanter: Da gibt es viele Gründe. Zunächst einmal machen viele Menschen, wenn sie älter werden, eine interessante Erfahrung. Erinnerungen steigen in ihnen auf, die sie  längst verloren glaubten. Sie beginnen nachzudenken und zu fragen: Wie war mein Leben?  Was habe ich alles erlebt? Welche Menschen waren wichtig für mich und haben mich begleitet? Manchmal wird überlegt, was aus ihnen wohl geworden sein mag,  ob man sie wiedersehen möchte und wie man sie finden könnte. Aber viele fragen sich auch, wie, anknüpfend an die Vergangenheit,  ihr zukünftiges Leben verlaufen soll. Ich bin der Überzeugung. dass es ein menschliches  Grundbedürfnis ist, sich mit der persönlichen Biografie auseinanderzusetzen.

Damit sprechen Sie Themen an, die weit über die Vergangenheit hinausreichen  und Gegenwart und Zukunft berühren.

Fanter: Das ist richtig. Beim Lebensrückblick geht es nie nur um die Vergangenheit. Im Grunde geht es immer auch darum, was das Vergangene für die heutige Lebenssituation bedeutet. Das ist auch bei dem Thema der persönlichen Lebensbilanz der Fall, also der Frage nach dem, was man erreicht hat, ob man damit zufrieden ist oder auch der Frage nach dem, was man glaubt, versäumt zu haben.

Die Frage nach der Leistungsbilanz ist sicher für viele Menschen besonders wichtig und oft schwierig zu beantworten?

Fanter:  Das stimmt, vor allem, weil meist doch nicht alle hoch gesteckten Ziele erreicht wurden. Es gab Misserfolge, Rückschläge, Niederlagen. Vieles blieb im wahrstem Sinne des Wortes auf der Strecke. Hilfreich ist dann, das gelebte Leben so zu akzeptieren, wie es war, und sich zu fragen: Was war dennoch möglich? Das ist dann meist doch eine Menge. Oft wird den Teilnehmern in der Gruppe auch bewusst, dass es letztlich  vielleicht viel weniger um äußere Erfolge geht, also das, was man sichtbar vorweisen kann, sondern um die Frage: Was ist als Mensch aus mir geworden?

Und diese Bilanz sieht dann besser aus?

Fanter: Ja, meist schon. Denn viele Menschen kommen gerade im Blick auf das, was schwer war im Leben, zum eigenen Erstaunen oft zu dem Ergebnis, dass sie  sagen: Ja, manches in meinem Leben war schon sehr schlimm und  hart, aber jetzt gehört es zu meinem Leben dazu. Gerade auch das Schwere hat mich als Menschen geprägt und verändert, und ich möchte auch diese Erfahrungen nicht missen. Menschen halten viel aus. Es kommen Kriegserfahrungen, Fluchterlebnisse, schwere Krankheiten, Verluste von geliebten Menschen und andere traumatische Erfahrungen zur Sprache.

Das sind dann sicher sehr emotionale Momente in einer Gruppe?

Fanter: Es gibt immer wieder einmal weinende und lachende Augen. Das ist auch richtig so, denn zum Lebensreichtum gehören Höhen und Tiefen. Beides muss Platz haben in einer Biografiegruppe. Die Teilnehmenden stellen immer wieder staunend fest, wie verschieden jeder Lebenslauf ist, und dass es darüber hinaus aber viele Gemeinsamkeiten gibt. Jeder hat sich in der Regel doch nach Kräften bemüht, das Beste aus seinem Leben zu machen. Viele Erfahrungen, wie z. B. auch die von Erfolg und Misserfolg, Verlieren und Gewinnen, gleichen sich.

 Und trotzdem bleibt manches an Wünschen und Plänen, wie Sie sagten, auf der Strecke. Wie werden Menschen  mit Versagen und Fehlern fertig?

Fanter:  Natürlich gibt es auch Versäumnisse, Fehler und Schuld. Da stellen sich für die Betreffenden dann Fragen, wie z. B.: Kann ich mir eingestehen, dass ich Fehler gemacht oder vielleicht sogar Schuld auf mich geladen habe. Muss ich jemandem aus meiner Vergangenheit um Verzeihung bitten? Kann ich Gott um Vergebung bitten? Kann ich mir aber auch – was vielen sehr schwer fällt – selbst verzeihen und trotzdem die Verantwortung übernehmen? Wenn das gelingt oder in der Gruppe dazu der Anstoß dazu gegeben werden kann, fällt von den Betroffenen oft eine Last ab. Manchmal ist  gerade bei Schuldgefühlen auch zusätzlich seelsorgliche Hilfe angezeigt.

Oft ist es sicher nicht so einfach, sich an konkrete Kindheitserlebnisse zu erinnern. Wie ermöglichen Sie den Zugang zur Kindheit?

Fanter:  Möglichst durch konkrete Erlebnisse. Viele Erfahrungen sind über Berührungs-, Temperatur- und Geruchsreize in unserem Gehirn gut abgespeichert und auf diesem Wege wieder abrufbar. So lautet eine Einführung in die Kindheit: „Erinnern Sie sich an ein Kindheitserlebnis, bei dem sie erfolgreich und stolz auf sich waren. Erinnern Sie sich an die Jahreszeit und daran, wie es gerochen hat und wie warm oder kühl es war.“ Sinneserfahrungen  sind nämlich besonders gut abgespeichert.  Nach kurzer Zeit sprudeln die Erinnerungen, und es kommen viele anschauliche Erinnerungen zur Sprache. Es ist ja unter anderem ein Ziel der , jedenfalls so wie  ich sie in Anlehnung an Verena Kast angehe, dass auch Farbe in  die Vergangenheit kommt. Kindheitserlebnisse bieten sich da geradezu an.

Also geht es in der um konkrete Erlebnisse und um den Lebensüberblick?

Fanter: Ja, ich möchte beides ermöglichen, denn nach meiner Erfahrung sind bei den Teilnehmenden beide Bedürfnisse vorhanden: Sie möchten möglichst konkret wissen: Was habe ich erlebt und wie war es? Sie haben aber auch den Wunsch, herauszufinden, welche Lebensphasen es gab und um welche Themen es in ihrem Leben ging.

Und dahinter steckt die pure Neugier des Einzelnen an seiner Lebensgeschichte?

Fanter: Es geht wohl mehr um den Wunsch, einen inneren Zusammenhang im Lebensganzen zu finden oder diesen Zusammenhang herzustellen und die Antwort  auf die Frage zu finden: Was war und ist der rote Faden in meinem Leben? Irgendwie möchten wir alle, dass es einen solchen inneren Zusammenhang gibt, dass unser Leben einen Sinn hatte  und dass wir nicht umsonst gelebt haben.

Hat die auch einen spirituellen Aspekt?

Fanter: Ja, durchaus. Viele Menschen beschäftigt über die Sinnfrage hinaus auch die Frage nach dem, was uns moralisch und im Hinblick auf Werte Orientierung gibt, was trägt und Halt gibt, sowohl im Leben als auch über den Tod  hinaus. Wovon man in der Jugend und in der ersten Lebenshälfte oft nichts oder nur wenig wissen wollte, das gewinnt mit in der zweiten Lebenshälfte zunehmend an Bedeutung.

Gibt es auch gesellschaftliche Gründe, weshalb die Frage nach der eigenen Biografie so wichtig geworden ist?

Fanter:  Die Frage nach dem menschlichen Lebenslauf war für Menschen, die das Leben nicht einfach so nahmen, wie es scheinbar daherkam, schon immer wichtig. Es gibt bereits aus früheren Zeiten viele bildhafte Darstellungen, in den der menschliche Lebensgang von der Geburt bis zum Tod nachgezeichnet wurde. Insbesondere in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts haben sich die Lebensverhältnisse jedoch stark gewandelt. Die „Normalbiografie“, in denen der Mann der Ernährer der Familie ist, die Frau dagegen, selbst wenn sie nebenher noch arbeiten ging, einzig und allein für Haushalt, Familie und Kindererziehung zuständig ist, gibt es kaum noch. Dagegen sprechen wir heute oft von einer Wahlbiografie, weil größere berufliche Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, aber auch verschiedene Familien- und Lebensformen existieren. Insofern gibt es einen Gewinn an Entscheidungsmöglichkeiten.

Die Zunahme an Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten klingt für den Einzelnen erst einmal positiv. Gibt es dazu eine Kehrseite?

Fanter:  Weil die unterschiedlichen Lebensformen, also das Leben in einer Familie, als Paar oder auch als Single  nicht auf Dauer gelebt werden, sondern sich abwechseln können, und weil auch die berufliche Tätigkeit nicht wie in früheren Zeiten dauerhaft mit einem Betrieb oder Unternehmen verbunden ist, das ist allein durch die vielen Firmenpleiten nicht möglich, und sich vermehrt viele Arbeitsverhältnisse aneinanderreihen, die noch durch Phasen der Arbeitslosigkeit unterbrochen sein können, spricht man heute auch von einer Zunahme an  Bastel- und Zusammenbruchsbiografien.

Welche Folgen hat dies für die psychische Befindlichkeit der Menschen?

Fanter: Der einzelne Mensch muss sich ganz anders orientieren und benötigt ein weitaus höheres Maß an Flexibilität, Mobilität und Lernbereitschaft. Das ist prinzipiell gut. Menschen brauchen für ihre körperliche Gesunderhaltung und ihre psychische Stabilität aber auch Dauer und Verlässlichkeit. Das gilt für den Einzelnen wie auch ganz besonders für Familien.

Der einzelne Mensch steht zunehmend vor der Aufgabe, sich aus einer Bastelbiografie eine Identität zusammenzubauen. Damit diese nicht brüchig bleibt, wird es zunehmend wichtiger, sich ständig seiner eigenen Identität zu vergewissern.

Deshalb gewinnt auch die zunehmend an Bedeutung.