Eine nicht immer einfache, ungebrochene Geschichte
Eine nicht immer einfache, ungebrochene Geschichte
Delegation der Kirchenleitung in Namibia unterwegs – Superintendentin Aufderheide dabei
Die Kolonial- und Missionsgeschichte sowie aktuelle Probleme Namibias waren Themen eines einwöchigen Besuchs von Mitgliedern der rheinischen Kirchenleitung bei der Partnerkirche im Südwesten Afrikas. Mit dabei Superintendentin Andrea Aufderheide aus unserem Kirchenkreis. Seit Jahrzehnten sind die rheinische Kirche und die ELCRN partnerschaftlich verbunden. Beide Kirchen gehören der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) an.
Bildtext: Die Delegation der Evangelischen Kirche im Rheinland in Namibia vor dem Gebäude der National Planning Commission. Bildmitte – mit heller Jacke – Superintendentin Andrea Aufderheide. Foto: fvo
An die Verstrickung der Kirche in die Schuldgeschichte von Kolonialismus und Völkermord erinnerte Nikolaus Schneider in einem Gottesdienst aller lutherischen Kirchen Namibias in der Hauptstadt Windhoek. „Wir gedenken der Menschen aus dem Volk der Herero, aber auch Nama und Damara, die von deutschen Truppen ihres Landes beraubt, bekämpft und vernichtet worden sind, sagte er seiner Predigt. „Die Missionare haben sich nicht eindeutig gegen die Kolonialmacht gestellt, sie haben versucht zu vermitteln, sie sind mitschuldig geworden. Das ist die Schuld unserer Kirche“, sagte Schneider mit Blick auf die Schlacht am Waterberg 1904.
Schneider: Nicht immer eindeutig an der Seite der Partner
Auch später in der Zeit der Apartheid – “war unsere Kirche nicht immer eindeutig an der Seite ihrer Partner“, räumte der Präses ein. Es sei eine nicht immer einfache, ungebrochene Geschichte, die die Kirchen in Namibia und die rheinische Kirche verbinde. 1842 hatte die Rheinische Missionsgesellschaft die ersten Missionare in das Land geschickt, noch bevor das Gebiet deutsche Kolonie wurde.
“Aber ich bin gewiss: Über alle Gräben und Verletzungen hinweg hat uns Gott dazu gerufen, gemeinsam und miteinander das Evangelium zu verkünden, die gute Botschaft, die allen Menschen gilt“, so Schneider im Gottesdienst: “Das erleben unsere Gemeinden in Deutschland als großes Geschenk. Das Zeugnis der namibischen Kirche im Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit hat vielen ChristInnen in der Evangelischen Kirche im Rheinland geholfen, für ihren Glauben eine klare Sprache und ein deutliches Zeichen zu geben“. Den Festgottesdienst in Windhoek mit vielen Chören besuchten mehr als tausend ChristInnen.
Aufderheide: Perspektivlosigkeit ist erschreckend
Beim Besuch des Dorfes Kalkveld in Namibia hatte sich die Delegation der Kirchenleitung ein Bild von der HIV/Aids-Arbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Namibia (ELCRN) gemacht: „Es ist erschreckend, wie die Krankheit Aids im Dorf wächst, von 60 Personen im Jahr 2003 ist die Zahl der Erkrankten angestiegen auf 375“, sagte Rolf Breitbarth, Superintendent des Kirchenkreises Niederberg, in Kalkveld. Bei einer Bevölkerungszahl von 800 Personen ist damit im Dorf fast die Hälfte der Einwohner erkrankt, aber offen spricht niemand darüber, dass er oder sie positiv ist.
Gleichzeitig würdigten die deutschen Gäste die Aidsarbeit der ELCRN: „Die Arbeit des Aids-Programms ist beeindruckend“, sagte Superintendentin Andrea Aufderheide, „aber die Perspektivlosigkeit im Dorf auch erschreckend. Es gibt so gut wie keine Arbeitsplätze.“
Bosse-Huber: Kirche reagiert auf Aids-Herausforderung
Auf die Probleme der Aids-Krankheit nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für deren Familien, Kirchen, Dörfer und Städte wies Vizepräses Petra Bosse-Huber beim Besuch eines regionalen und des nationalen Büros des Evangelisch-lutherischen Aids-Programms (ELCAP) in Keetmanshoop und Rehobot hin. Niemand in Namibia könne sagen, dass es ihn nicht betreffe. Die Evangelisch-lutherische Kirche habe einen Weg gefunden, dieser großen Herausforderung mit Liebe und Gerechtigkeit zu begegnen.
Betroffene benötigten gute und bezahlbare Medikamente, gesundes Essen und die Möglichkeit mehr über die Krankheit zu lernen, so die Vizepräses. An die wohlhabende Welt gerichtet sagte sie: „Kirchen aus dem Norden können ihre Stimme nutzen, um die großen Arzneimittelfirmen davon zu überzeugen, günstige generische Medikamente für die Aids-Behandlung zu verkaufen”.
Bewegendes Gedenken auf dem Schlachtfeld von 1904
Beim Besuch der Kirchenleitungs-Delegation standen auch weitere Termine zur Kolonial- und Missionsgeschichte auf dem Programm. Besonders bewegend war für die Gruppe ein Besuch auf dem Schlachtfeld am Waterberg, dem Ort, an dem deutsche Kolonialtruppen den Aufstand der Herero, Nama und Damara 1904 blutig niederschlugen. Barmen Karieue, ein Ältester der Herero, führte die Gruppe bei Sonnenaufgang über unwegsames Savannengelände zu den Gräbern getöteter Herero-Führer. Mit einer Zeremonie bat er die Verstorbenen um Vergebung, dass die Totenruhe gestört wurde, ehe die Deutschen der Opfer des ersten Völkermordes des 20. Jahrhunderts gedachten. „Es war bewegend, mit Texten der Vereinten Evangelischen Mission aus dem Gedenkjahr 2004 – 100 Jahre nach der Schlacht vom 11. August 1904 – am Waterberg der Opfer des Völkermordes zu gedenken und miteinander zu beten“, sagte Oberkirchenrätin Barbara Rudolph, die im Landeskirchenamt die Abteilung Ökumene leitet.
Engagement für Einführung des Grundeinkommens
Die Gäste besuchten auch den Ort Otjivero, in dem das Pilotprojekt zur Einführung eines Grundeinkommens Basic Income Grant (BIG) mit Unterstützung der rheinischen Kirche etabliert wurde. BIG heißt, dass jeder Mensch unter 60 Jahren monatlich ein Grundeinkommen erhält. Dies soll helfen Existenzgründungen zu fördern, Armut und Unterernährung zu bekämpfen und die Bildung zu fördern. Die BIG Coalition Namibia kämpft schon seit mehreren Jahren für eine landesweite Einführung des Grundeinkommens.
ekir.de