„Freude durch Vergebung“ oder „Gottes Gnade gibt es umsonst“

Predigttext: Matthäus 18 Verse 21-35 Gleichnis vom hartherzigen Verwalter

Darf ich mich vorstellen? Sie sehen mich hier mit einem „Lutherhut“. So bin ich angekündigt worden auf den Plakaten. Dass der kleine Playmobil-Luther für mich herhalten musste –  auch ok, so groß bin ich nicht. Aber genug davon. Weg mit der Luther-Verkleidung und ich sage ihnen: „hier stehe ich und ich bin anders.“ Anders als Martin Luther. Ich bin der Prädikant Jona Luther von der Heilig-Geist-Kirche in Bergisch Gladbach. Und als der will ihnen etwas über Jesu Gleichnis vom hartherzigen Verwalter erzählen, das wir als Evangeliumslesung gehört haben:

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.

Anfang der 1970er Jahre gibt der 21 jährige Bernhard eine Kontaktanzeige auf: „Junger Mann sucht wegen fehlender Gelegenheit auf diesem Weg ein nettes Mädel kennenzulernen.“ Bernhard leitet eine kleine Bankfiliale – aber er will mehr erreichen. Sehr viel mehr.

Auf die Anzeige meldet sich die 18 jährige Helga, einzige Tochter eines Bauern in einem kleinen Dorf. Sie will nur eins, weg vom strengen Vater, weg vom Hof, den sie später übernehmen soll. Bernhard ist für sie die Chance sich von all dem zu befreien. Nach kurzer Zeit macht er ihr einen Heiratsantrag. Doch die  Eltern sind dagegen – und weil man damals erst mit 21 volljährig war hätten sie zustimmen müssen. Doch Bernhard hat eine Lösung: er überredet Helga heimlich ihre Sachen zu packen und holt sie mit seinem neuen Auto ab. Für eine kurze Probefahrt, sagt er ihren Eltern. Doch sie hauen ab nach Edinburgh in Schottland, wo Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern heiraten können. Helga denkt sich auch nichts dabei, als Bernhard einige Tage vor der Trauung eine Lebensversicherung abschließt, die bei Tod des einen dem überlebenden Ehepartner dreieinhalb Mio D-Mark auszahlt, was heute etwa 6 Mio. Euro wären.

Am Hochzeitsabend, als es schon dunkel ist, steigt Bernhard mit Helga auf den Salisburyfelsen, ein Berg in Edinburgh mit senkrecht abfallenden Hängen. Er stößt sie hinunter, sie ist sofort tot. Ihre Ermordung hatte er von Anfang an geplant und sollte ihn reich machen. Doch seine Version eines tragischen Unfalls glaubt die Polizei nicht mehr als sie von der Lebensversicherung erfährt. Er wird wegen Mordes verurteilt und landet im Gefängnis.

Erst dort wird ihm klar was er gemacht hat. Er träumt immer wieder davon, wie Helga fällt. Er verzweifelt an sich selber und seiner Schlechtigkeit, sieht keinen Ausweg aus seinen Schuldgefühlen. Dann macht er etwas, was ihm vorher nie in den Sinn gekommen wäre: er beginnt in der Bibel zu lesen, liest immer mehr, immer weiter. Da packt es ihn, er ist sich sicher Gott hat ihm alles vergeben und wird sein weiteres Leben bestimmen. Vor lauter Glück über seine Bekehrung und Vergebung flippt er richtig aus und ist einige Tage in einer Art Rausch. Ich sag ihnen jetzt mal ganz ehrlich: grundsätzlich wollte ich nicht mit ihm tauschen. Aber um so ein totales Bekehrungserlebnis beneide ich ihn schon ein wenig…

Hier mach ich mal ‚nen Schnitt und komme zur Evangeliums-Lesung zurück. Wir haben von einem Verwalter gehört, der seinem König 10.000 Talente schuldet.  Das war ein Mehrfaches der jährlichen Steuereinnahmen des König Herodes, also unfassbar viel.

Als der Verwalter als Sklave verkauft werden soll fleht er den König an: “hab Geduld, ich will alles bezahlen!“ Das ist totale Selbstüberschätzung – so viel kann man aus eigener Kraft nicht zurückzahlen. Deswegen erzählt ja Jesus von diesen Riesenschulden um zu zeigen: Du kannst versuchen durch religiöse Leistung wie genaue Gesetzesbefolgung vor Gott unbelastet und sauber dazustehen. Aber vergiss es einfach – es ist nicht machbar. Auf diesem Weg kommst du mit Gott nichts ins Reine!

Und Jesus erzählt weiter: „Da bekam der Herr Mitleid. Er gab ihn frei und erließ ihm die Schulden“. Schon interessant: Der König erfüllt nicht die Bitte des Verwalters um mehr Zeit zur Rückzahlung, das würde auch gar nichts helfen weil unmöglich. Er tut mehr, denn er erlässt die ganzen Schulden. Und so, sagt Jesus, ist Gott. Vergibt selbst unglaublich große Schuld. Ohne Vorleistung. Gottes Gnade und Vergebung sind umsonst! Jetzt müsste ich doch wieder den Lutherhut aufsetzen, denn genau diese Erkenntnis erlöste Martin Luther von der Frage die ihn so quälte: was kann, was muss ich tun damit Gott mich nicht bestraft für meine Fehltritte. Was muss passieren dass Gott mein Freund wird anstatt mich zu verdammen?

Genau diese Gnade, das Geschenk der Vergebung hat Bernhard im Gefängnis beglückt. Größere Schuld als so einen eiskalt geplanten Mord aus Habgier gibt es doch kaum. Sich selber von dieser Schuld befreien ist unmöglich – und genau daran ist er ja verzweifelt. Aber Gott kann selbst so eine Schuld vergeben.

Nach einigen Tagen wird Bernhard ruhiger und ist wie verwandelt. Vorher wurde er als „deutscher Nazifrauenmörder“ von den Mithäftlingen gemobbt – jetzt machen sie Witze über seine Frömmigkeit. Aber nicht lange. Viele Mithäftlinge, auch harte Kerle, suchen bald Rat bei diesem komischen Bekehrten, weil er geduldig zuhört und für fast alle menschlichen Irrwege Verständnis zeigt. Er hatte die Freude über die Befreiung von großer Schuld erfahren. Davon will er weitergeben und anderen helfen die auch Mist gebaut haben in ihrem Leben. Und deshalb umso mehr ein offenes Ohr brauchen und das Gefühl des angenommen seins mit und trotz aller Fehler, die sie so haben.

Das unterscheidet Bernhard total von dem Verwalter in der Geschichte von Jesus:  Da lesen wir nichtmal etwas von Dank gegenüber dem König! Sondern nach dem Schuldenerlass erzählt Jesus weiter: „Der Mann ging hinaus und traf dort einen anderen Verwalter, der schuldete ihm 100 Silberstücke. Er packte ihn an der Kehle, würgte ihn und sagte: ›Bezahl deine Schulden!‹ Der andere fiel vor ihm auf die Knie und flehte ihn an: ›Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen.‹ Aber das wollte der Mann nicht – im Gegenteil: Er ging weg und ließ seinen Mitverwalter ins Gefängnis werfen. Dort sollte er bleiben, bis seine Schulden bezahlt waren.“ Kleine Info dazu: die 100 Silberstücke waren im Vergleich zu den vom König erlassenen Schulden ein lächerlich kleiner Betrag.

Jesus erzählt weiter: „Die übrigen Verwalter bekamen mit, was da vor sich ging, und waren empört. Sie gingen zum König und berichteten ihm alles. Da ließ der Herr seinen Verwalter zu sich kommen. Er sagte zu ihm: ›Du böser Mensch! Deine ganzen Schulden habe ich dir erlassen, weil du mich darum gebeten hast. Und du? Warum hattest du kein Erbarmen mit dem anderen Verwalter – so wie ich mit dir?‹ Voller Zorn übergab er ihn den Folterknechten – bis seine Schulden bezahlt waren.“ Und eins ist klar: Das war lebenslänglich Knast – denn die Schuld war ja so unfassbar riesig! Die entscheidende Aussage von Jesus kommt  am Schluss: „So wird mein Vater im Himmel auch euch behandeln – wenn ihr eurem Bruder oder eurer Schwester nicht von Herzen vergebt.“ Also: Gott vergibt uns überreichlich ohne dass wir uns das vorher verdienen müssen. Aber Gott erwartet, dass wir aus Freude über seine Vergebung davon weitergeben – sonst entzieht er uns wieder seinen Schuldenerlass. Da erzähle ich ihnen absolut nichts Neues. Das haben wir alle schon so oft gesagt wenn wir gebetet haben „und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“

Wie ging es bei Bernhard weiter? Nach 16 Jahren wird er 37-jährig entlassen. Hat im Knast Griechisch und Hebräisch gelernt und als Freigänger an der Uni Edinburgh Theologie studiert. Will zurück nach Deutschland. Seine Bewerbung für den Pfarrdienst ist für die Kirche eine Herausforderung. Welche Gemeinde will denn einen Mörder als Pfarrer? Aber ein „wir wollen dich nicht“ ist gegenüber dem verlorenen und dann bekehrten Sohn irgendwie unchristlich, das ist den Entscheidern auch klar. Schon komisch: Christen lehren und erzählen wie Gott Menschen total  verwandeln kann. Wie den Zöllner Matthäus, dessen Leben durch Jesus eine ganz neue Richtung bekommen hat. Oder Paulus, der vom Christenverfolger zum großen Verkünder des Christusglaubens wurde. Und dann haben wir ein Problem damit wenn diese Kernaussage über  Gottes Wirken an Menschen heute unter uns passiert!!! Schade eigentlich – aber immerhin wird für Bernhard ein Einstieg gefunden mit der Betreuung eines Jugendheims. Niemand der Menschen mit denen er zu tun hat kennt seine Vergangenheit. Dann lernt er im Kirchenchor eine Frau kennen. Recht bald hat er ihr seine Vorgeschichte gebeichtet, von Mord und Gefängnis. Das war für sie aber kein Hinderungsgrund ihn zu heiraten. Sie sagte nur „ich sehe dich so wie du heute bist“. Welche Befreiung muss das gewesen sein! Und welche Chance auf einen Neuanfang auch privat!

Einen Neuanfang gab es für Helgas Eltern nicht. Für sie war das Leben gelaufen.  Helgas Vater sah in Bernhard den absoluten Feind Nr. 1. Verfolgte dessen weiteren Lebensweg, erfuhr von der Bekehrung im Knast und dem Theologiestudium. Und kündigte an, falls Bernhard irgendwo predigen sollte würde er im Gottesdienst aufstehen und der Gemeinde die Wahrheit über diesen Pfarrer zuschreien. Das geschah nicht mehr – Helgas Eltern starben verbittert bevor Bernhard als Gemeindepfarrer arbeitete.

Hätte es einen anderen Weg für Helgas Eltern geben können? Einen Weg, der sie von ihrer Verbitterung befreit und ein positives Weiterleben ermöglicht hätte? Von meiner koreanischen Frau kenne ich die Geschichte eines koreanischen Pfarrers, der den Mörder seines Sohnes sogar adoptierte. Das ist  außergewöhnlich, aber es zeigt: Vergebung ist selbst bei so einem Verbrechen möglich. Und ist für alle ein Weg raus aus der Negativspirale.  Ob ich selbst den Mord an einem meiner Kinder vergeben könnte weiß ich nicht und muss es hoffentlich nie rausfinden. Aber ich weiß von kleineren Vorkommnissen in meinem Leben: vergeben können befreit mich selbst von Hass, von negativen Gedanken wie „auf die Veranstaltung geh ich nicht hin, da läuft mir sonst wieder dieser Typ über den Weg und ich könnte kotzen“ undsoweiter. Vergeben können macht mein eigenes Leben lebenswerter! Und zuerst muss ich das für mich selbst klären ob ich vergeben will und kann. Das hat mit anderen Menschen erstmal garnichts zu tun. Dazu muss ich aber in mein Inneres blicken. Heute am Männersonntag kann ichs ja mal sagen: wir Männer haben da manchmal ein Problem. Wir sind nicht so gewöhnt in unsere Herzen zu schaun und nachzuspüren was da so los ist. Böse Zungen behaupten gar Männer kennen kaum Gefühle. Das seh ich überhaupt nicht so. Männer können richtig emotional sein, vor Glück ausflippen oder vor Unglück heulen. Ja, wenn sie ein Fußballspiel ihres Vereins sehen. Scherz beiseite. Leider ist es eher so wenn jemand fragt „wie geht’s“, und du fängst wirklich an von dem zu erzählen was dir auf der Seele brennt, dann kommt sowas wie „komm trink noch`n Bier und erzähl nich so viel“. Gesegnet ist, wer mindestens einen Freund hat dem er sein Herz ausschütten kann.

Ich kann aber auch ins Gespräch mit Gott gehen. Und eins ist sicher: es hilft schonmal unheimlich das was einem so unklar in Bauch und Herz rumgeht zu formulieren und vor Gott zu bringen. Schafft Klarheit. Und bringt Antworten.

Im zweiten Schritt kann ich Vergebung zusprechen, auch den Menschen befreien und erleichtern, der mich verletzt, betrogen, belogen oder sonstwas hat.

Was bedeuten jetzt die Erzählung von Jesus über den hartherzigen Verwalter und die Geschichte von Bernhard für Sie und für mich? Zuerst die Frage: wo finden Sie sich in der Geschichte vom Mörder, der zum Pfarrer wurde? Sind sie…

  • Ein Gemeindemitglied, das sein Kind nie zu einem verurteilten Mörder in den Konfirmandenunterricht schicken würde? Bekehrung hin oder her?
  • Oder erkennen Sie sich in Helgas Eltern, die nicht vergeben können? – wobei ich das Bestens verstehen kann.
  • Oder verstehen sie die Schwierigkeit der Personalverantwortlichen, die sich fragen ob sie einen Mörder als Gemeindepfarrer einstellen können? Vielleicht den Gemeinden wo er sich bewirbt seine Vergangenheit verschweigen sollten?
  • Oder sehen Sie sich als die 2. Ehefrau des Mörders, die es schafft allein den „neuen“, den von Gott geänderten Menschen zu sehen und zu lieben – ohne vom „alten“ Bernhard daran gehindert zu werden?
  • Oder fühlen sie mit dem jungen Bernhard? Für mich selbst kann ich sagen: Einen Mord hab ich nicht begangen, aber schon den einen oder anderen Bockmist gebaut für den ich die Vergebung Gottes brauchte und die Vergebung von Menschen erhoffte.

Darüber hinaus, was können Sie und ich jetzt ganz konkret machen? So ab morgen? Zuerst: Freuen Sie sich! Freuen Sie sich über das Geschenk von Gnade und Vergebung, von dem Jesus spricht! Sie müssen sich dafür nicht qualifizieren, nichts beweisen, nichts leisten.  Dann: spüren Sie nach, welche eigenen Verfehlungen sie immer wieder belasten, die ab und zu aus der Gruft der Vergangenheit in ihr Bewusstsein hochkommen. Klären Sie das mit Gott, er vergibt. Dann versuchen Sie es mit den Menschen zu klären, denen Sie weh getan haben. Nicht immer einfach, klappt auch nicht immer. Zumindest nicht sofort. Ist aber den Versuch wert.

Dann geht es ans weitergeben: wer hat denn Ihnen was angetan? Können Sie demjenigen oder derjenigen vergeben? Sich selbst befreien? Dann vielleicht auch mit den betroffenen Menschen darüber sprechen. Ihn oder Sie auch von Schuld und Schuldgefühlen befreien?      Ein praktischer Hinweis: Einfach anfangen. Im doppelten Sinn: Fangen Sie einfach damit an und – fangen sie mit den einfachen Sachen an, es ist nämlich herausfordernd genug.

Ich jedenfalls wünsche Ihnen die befreiende Erfahrung von Vergebung die Sie empfangen. Von Gott – und von Menschen. Und die befreiende Erfahrung von Vergebung die Sie schenken. Dazu gebe ihnen Gott Mut, Kraft, Liebe, gute Ideen und Durchhaltevermögen.

Und der Friede Gottes bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

 

Noch ein Wort zum Lied, das wir jetzt singen werden. Genau heute vor 50 Jahren betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Der 4. Vers mit „ich möchte nicht zum Mond gelangen, jedoch zu meines Feindes Tür“ hat damit zu tun. Das Lied wurde geschrieben ein Jahr nach Kennedys Rede, in der er das Ziel der bemannten Mondlandung bis zum Ende der 60er Jahre ankündigte. Er sagte: “Wir tun es nicht weil es einfach ist, sondern weil es schwierig ist.“ Kurt Rommel wünscht sich und uns mit dem 4. Vers die gleiche Bereitschaft, Anstrengung und Phantasie für Vergebung und Versöhnung wie die Amerikaner für das Ziel der Mondlandung bereit waren aufzuwenden. Er wusste, dass Vergebung und Versöhnung  genauso schwer sein können wie zum Mond zu fliegen…